DiskursGlossar

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte AusdrĂŒcke: Rechtschreibnazi, Sprachpolizei, Laiensprachkritik, orthographisches Shaming, Sprachkritik
Siehe auch: Memes, Konnotation, Kritik, Hashtag, Schlagwort, Whataboutism
Autor: Dimitrios Meletis
Version: 1.2 / Datum: 15.11.2022

Kurzzusammenfassung

Das ĂŒberwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (hĂ€ufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen ĂŒben. Den so bezeichneten Personen wird die Absicht zugeschrieben, vom eigentlichen Thema abzulenken und Diskussionen damit mutwillig zu stören: Basierend auf der Annahme, dass orthographische Kompetenz als Zeichen fĂŒr Bildungsgrad, Intelligenz etc. interpretiert wird, sollen sie mit ihrer Korrektur oder Kommentierung von sprachlichen Normverletzungen das strategische Ziel verfolgen, die korrigierten Personen vor den anderen Diskussionsteilnehmer*innen zu diskreditieren. Gleichzeitig dient ihnen die Sprachkritik zur Selbstpositionierung und -profilierung, obwohl sie in der Regel Personen ohne gesellschaftlich zugeschriebene sprachliche AutoritĂ€t sind (wie das bspw. Deutschprofessor*innen wĂ€ren). Bisweilen wird Grammatiknazi auch humoristisch als Selbstbezeichnung verwendet und trĂ€gt dann eine ironisch-positive Konnotation, mit der auch die Rechtfertigung von Sprachkritik im Sinne des Sprachschutzes verbunden ist.

Erweiterte BegriffsklÀrung

Die Begriffsgeschichte des Schlagworts ist nicht genau dokumentiert. Eine der vermutlich frĂŒhesten Verwendungen stammt aus dem Jahr 1995, als es in der Google-Gruppe alt.gothic in einer Diskussion, die die (Nicht-)Existenz des Worts thusly im Englischen zum Inhalt hat, im Threadtitel Grammar Nazi on the Rampage! (sinngemĂ€ĂŸ ‚Randalierender Grammatiknazi!‘) benutzt wurde (vgl. Sherman & Ć velch 2015: 319). Die spĂ€tere Übernahme aus dem angloamerikanischen Raum sowie die Eindeutschung als Grammatiknazi (manchmal auch Grammatik-Nazi) mĂŒssen vor dem Hintergrund kommentiert werden, dass der Begriff Nazi im Deutschen semantisch stĂ€rker negativ aufgeladen und damit pragmatisch tabuisierter ist als im Englischen, wo er als Beleidigung in seiner Schwere ungefĂ€hr mit ,Volltrottel‘ zu vergleichen ist (vgl. Eitz & Stötzel 2007: 316). Durch die Übernahmen von Nazi-Komposita aus dem Englischen (bspw. auch Feminazi) kam es aber auch im Deutschen zu einer teilweisen Verschiebung der ursprĂŒnglichen Wortbedeutung und Nazi wird – vor allem als Determinatum in Komposita – verwendet, „um auf bestimmte Eigenschaften von Personen oder Personengruppen auf satirische (figurative) Weise zu referieren und/oder sie zu diffamieren“ (Giesel 2019: 74). Entscheidend ist, dass das -nazi in Grammatiknazi auf Personen referiert, die keine ideologischen Verbindungen zum Nationalsozialismus aufweisen (vgl. Bahlo, Becker & Steckbauer 2016) und die sich im Falle der Selbstbezeichnung zum Teil sogar explizit davon distanzieren. Synonym zu Grammatiknazi finden sich auch Bezeichnungen wie Sprachnazi oder Rechtschreibnazi, in abgeschwĂ€chter Form auch Grammatik- oder Sprachpolizei (vgl. Frick im Ersch.).

Zur Verwendung des Schlagworts ist zunĂ€chst festzuhalten, dass es in Diskursen seltener anzufinden ist als die damit assoziierte Praxis. Auch ĂŒberlappen sich die typischen Verwendungskontexte von (1) Praxis und (2) Schlagwort nicht immer: So werden viele Korrekturen oder Kommentierungen nicht metasprachlich aufgearbeitet und es fehlt vor allem den korrigierenden Personen oft ein metapragmatisches Bewusstsein fĂŒr die Problematik ihres Handelns. Die explizite Verwendung des Schlagworts Grammatiknazi ist wiederum nicht zwingend an einen konkreten Korrekturkontext gebunden, sondern hat in der internetbasierten Kommunikation mittlerweile auch ein gewisses (virales) Eigenleben entwickelt.

Prototypische Kontexte, in denen die (1) Praxis ausgeĂŒbt wird, sind Diskussionen im Rahmen polarisierender Diskurse, in denen Vertreter*innen unterschiedlicher (vor allem politischer) Ideologien aufeinandertreffen. So werden bspw. in Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, aber auch in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter NormverstĂ¶ĂŸe maßgeregelt. Die ‚Fehler‘ finden sich meistens in Posts, die als Reaktionen auf eine initiale Nachrichtenmeldung zu einem Thema mit großem Diskussionspotenzial gepostet wurden (s. Bsp. 4). Die zwei Haupttypen der vorgebrachten Laiensprachkritik sind einerseits die Korrektur selbst – oft in Form eines Sternchens gefolgt von der korrekten Form des falsch verwendeten Ausdrucks (z. B. *seid) – oder der Kommentar, der sich auf unterschiedliche – direktere oder indirektere – Weisen auf den Normverstoß beziehen oder auf diesen anspielen kann. Die beiden Typen kommen zum Teil auch in Kombination vor. Eine Sonderform ist das Posten von Links zu Webseiten wie www.seidseit.de, deren URLs zum Teil bereits korrigierend wirken und die, wenn sie aufgerufen werden, ErklĂ€rungen zum Fehler bzw. diesbezĂŒglich richtiger Sprachverwendung enthalten (vgl. Arendt & Kiesendahl 2014: 126–127).   

Zur Bezeichnung der Praxis existiert noch kein gebrĂ€uchlicher Begriff. Der im vorliegenden Artikel verwendete Terminus Laiensprachkritik (Arendt & Kiesendahl 2014) ist breiter, was potenzielle Kontexte und Register betrifft, und fĂŒr den englischsprachigen Vorschlag orthographic shaming (Meletis 2020: 378) – gebildet analog zu Fatshaming, Slutshaming etc. – hat sich noch keine deutschsprachige Entsprechung durchgesetzt.  

In der expliziten Verwendung des (2) Schlagworts ist vor allem die Nutzung als Fremdbezeichnung von der als Selbstbezeichnung zu trennen. Als Fremdbezeichnung wirkt Grammatiknazi fast immer – in unterschiedlichem Maße – abwertend und diffamierend. Interessant ist, dass das Schlagwort (wie die assoziierte sprachkritische Praxis) einen ad hominem-Charakter hat, womit mit Grammatiknazi nicht unmittelbar das Kritisieren abgewertet wird, sondern die kritisierende Person. Ein – wenn auch ĂŒberraschend marginaler – Verwendungskontext des Schlagworts sind direkte Reaktionen auf die laiensprachkritischen Kommentare: WĂ€hrend Rechtfertigungen durch die korrigierte Person grĂ¶ĂŸtenteils ausbleiben (vgl. Arendt & Kiesendahl 2014: 112), klinken sich bisweilen Dritte ein, die das Schlagwort als Beleidigung verwenden und die Sprachkritik damit ablehnen oder bagatellisieren. Ein nennenswertes PhĂ€nomen sind in diesem Kontext auch Korrekturen von sprachkritischen Korrekturen/Kommentaren: EnthĂ€lt die Laiensprachkritik selbst NormverstĂ¶ĂŸe, wird oft von Nutzer*innen darauf hingewiesen, bisweilen mit dem dezidierten Ziel, die Doppelmoral der fehlerhaften Laiensprachkritik sichtbar zu machen; auf diese Weise entstehen zum Teil regelrechte Korrekturketten.

Generell wird die mit Grammatiknazi verbundene sprachkritische Praxis ,belĂ€chelt‘ und als ,enervierend‘ und ,spießbĂŒrgerlich‘ wahrgenommen (Bahlo, Becker & Steckbauer 2016: 276). Mit dem Schlagwort Whataboutism wurde lange nach Aufkommen laiensprachkritischer Praktiken ein Begriff populĂ€r, der dabei hilft, sie diskursstrategisch einzuordnen: Den negativ konnotierten Verwendungen von Grammatiknazi liegt so zugrunde, dass der ablenkende Charakter der damit verbundenen Praxis von Diskursteilnehmer*innen durchaus wahrgenommen und als störend bewertet wird.

Als Selbstreferenz trĂ€gt Grammatiknazi demgegenĂŒber oft positive(re) Konnotationen. InhĂ€rent ist der Bezeichnung dann die Intention, die Sprache durch das Aufzeigen und Korrigieren von Fehlern ‚schĂŒtzen‘ zu wollen, womit stark prĂ€skriptiv geprĂ€gte und als positiv bewertete Standardsprachideologien zutage treten, die an alle Register – darunter auch digitale und informelle – AnsprĂŒche der Korrektheit und Normwahrung stellen. Gleichzeitig wird das Schlagwort allerdings auch in solchen Verwendungskontexten ironisch verwendet und behĂ€lt damit gewisse negative Bedeutungsanteile wie ‚pedantisch‘ und ‚belehrend‘. Den Formulierungen von Personen, die sich selbst Grammatiknazi nennen, ist so z. T. zu entnehmen, dass sie das Korrigieren schlicht nicht unterlassen können (es also gewissermaßen den Charakter eines Zwangs einnimmt), manche entschuldigen sich sogar noch im Rahmen ihrer Korrektur oder schwĂ€chen diese selbst ab. HĂ€ufig findet sich das Schlagwort so auch in retrospektiven Reflexionen des eigenen Sprachhandelns, in denen dieses explizit problematisiert wird (vgl. zahlreiche englischsprachige Artikel mit dem Titel ‚Confessions of a grammar nazi‘, z. B. Driffill 2014). Nennenswert im Kontext der Selbstbezeichnung und der Motivation des Sprachschutzes sind einschlĂ€gig benannte Webseiten wie http://www.grammatik-nazi.de/ oder https://grammatiknazi.de/. Sie bieten ErklĂ€rungen zu hĂ€ufigen Fehlern (wie seid vs. seit, das vs. dass) oder sprachlichen IrrtĂŒmern (wie der Verwendung von einzigste/r) und/oder informieren ĂŒber den Begriff Grammatiknazi. Bemerkenswert ist, dass beide genannten Webseiten Logos haben, die visuell auf Nazisymbolik anspielen: Der Großbuchstabe G ist darin wie ein Hakenkreuz stilisiert und in einem weißen Kreis vor rotem Hintergrund positioniert.

Zusammenfassend lĂ€sst sich festhalten, dass die Bedeutungen von Grammatiknazi als Fremdbezeichnung und Selbstbezeichnung semantisch nicht weit auseinandergehen, im Diskurs jedoch pragmatisch andere Zwecke erfĂŒllen: Die Fremdbezeichnung dient vorrangig der Entwertung diskursstörender Praktiken und verantwortlicher Akteur*innen, wĂ€hrend Personen, die sich selbst als Grammatiknazi bezeichnen, die negativen Aspekte laiensprachkritischer Praktiken durchaus auch problematisieren, diese im Endeffekt aber als gerechtfertigt ansehen. Beide Verwendungen gehen in der Regel mit einem metapragmatischen Bewusstsein einher.

Ein wichtiger Bestandteil vieler laiensprachkritischer Handlungen sowie auch der Verwendung von Grammatiknazi als Selbstbezeichnung ist Humor, der hĂ€ufig als Zeichen der individuellen oder kollektiven Überlegenheit zu beobachten ist. So haben sich in den sozialen Medien zahlreiche Gruppen gebildet, in denen NormverstĂ¶ĂŸe in Form von Screenshots und Fotos zum Zweck der Belustigung der Gruppenmitglieder geteilt werden; ein Beispiel dafĂŒr ist der Subreddit GrammarNazi (https://www.reddit.com/r/GrammarNazi/; zuletzt abgerufen: 04.10.2022). Die Besonderheit (im Vergleich zu direkten laiensprachkritischen Kommentaren) ist hier, dass die Normabweichungen dekontextualisiert prĂ€sentiert werden, d. h. die fĂŒr sie verantwortlichen Personen sind sich dessen im Regelfall nicht bewusst und werden darĂŒber nicht informiert; oft, aber nicht immer werden Screenshots jedoch anonymisiert, sodass beteiligte Personen nicht identifizierbar sind (s. auch Bsp. 4). Durch die humoristische PrĂ€sentation und das Teilen von Fehlern in Screenshots haben sich sowohl das Schlagwort als auch die damit assoziierte sprachkritische Praxis mittlerweile zu Memes mit viralem Verbreitungspotenzial entwickelt (vgl. Sherman & Ć velch 2015: 319), was viele Internetnutzer*innen zu Rezipient*innen laiensprachkritischer Praktiken macht. HĂ€ufig wird so auch der Hashtag #Grammatiknazi (in verschiedenen Varianten) verwendet, wobei hier analog zur Nutzung des Schlagworts zu unterscheiden ist, ob Nutzer*innen ihn auf andere Diskursteilnehmer*innen oder aber sich selbst und ihr eigenes Handeln beziehen.

Beispiele

(1) Im folgenden Beispiel wird die Sprachkritik mit der Selbstbezeichnung Grammatiknazi eingeleitet und von dieser gerahmt, was die Kritik einerseits ironisch abwertet und (gemeinsam mit ihrer Formulierung als Frage) abschwĂ€cht, wodurch die kritisierende Person sich womöglich erst ‚traut‘, die Kritik ĂŒberhaupt zu Ă€ußern:

Ich spiel mal Grammatiknazi: Sollte es im 2. Absatz nicht gewogen statt gewiegt heißen? (aus der Wikipedia-Diskussion zur Seite ‚Wurst‘; Beispiel entnommen von Giese 2019: 75).

(2) Im folgenden Tweet wird das Schlagwort als kommentierender Hashtag zur Selbstbezeichnung verwendet. Sowohl die ‚fehlerhafte‘ Sprachverwendung als auch womöglich das Empfinden von Ärger darĂŒber werden als Belastung empfunden: 

Jedes Mal, wenn jemand ‚wie‘ mit ‚als‘ verwechselt, stirbt etwas in mir. #grammatiknazi (Tweet gepostet von User*in @jani_ahoi, gepostet am 23.04.2017 um 14:32).

(3) In diesem Facebook-Kommentar unter einer politischen Nachrichtenmeldung echauffiert sich ein*e User*in ĂŒber einen vorangehenden laiensprachkritischen Kommentar, indem die kritisierende Person angegriffen wird (ohne jedoch die Bezeichnung Grammatiknazi zu verwenden). Interessant ist hier auch die Assoziation mit einer bestimmten Positionierung am politischen Spektrum, was widerspiegelt, dass Sprachkritiker*innen hĂ€ufig als dem linken Rand zugehörig wahrgenommen werden:

nur weil du den denker im profil hast und dich fĂŒr einen klugscheisser hĂ€ltst, bist und bleibst armseliges wĂŒrstchen das sich ĂŒber einen rechtschreibfehler mockiert, aber nix konkretes zum thema beitragen kann, genau so wie man rotgrĂŒne politik kennt (Reaktion auf einen sprachkritischen Kommentar unter einem Nachrichtenpost auf der Facebook-Seite Zeit im Bild zum Thema Sicherheitspolitik, gepostet am 20.04.2018).

(4) Das folgende Beispiel zeigt einen gesamten Korrekturkontext: Ausgangspunkt ist ein Nachrichtenpost der österreichischen Facebook-Seite Frauenvolksbegehren (vom 20.02.2018), die insgesamt aufgrund ihrer Thematik politisch aufgeladen und konkret positioniert ist. Darunter ist ein Kommentar zu sehen, in dem sich ein*e User*in direkt – und ablehnend – auf den Inhalt des Posts und damit indirekt auf die politischen Ziele des Frauenvolksbegehrens bezieht. Hiermit macht sich die kommentierende Person vor allem im Kontext einer Facebook-Seite, die dezidiert diesem Thema gewidmet ist und damit zu einem gewissen Grad eine Filterblase darstellt, angreifbar. Wiederum darunter kommt es nun zur Sprachkritik – in diesem Fall in Form einer reinen Korrektur – durch eine weitere Person.

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Abb. 1: Korrektur von einem Nachrichtenpost auf der österreichischen Facebook-Seite Frauenvolksbegehren (Post vom 20.02.2018).

Literatur

Zum Weiterlesen

Zitierte Literatur

  • Arendt, Birte; Kiesendahl, Jana (2014): Sprachkritische Äußerungen in Kommentarforen – Entwurf des Forschungsfeldes ‚Kritiklinguistik‘. In: Niehr, Thomas (Hrsg.): Sprachwissenschaft und Sprachkritik – Perspektiven ihrer Vermittlung. Bremen: Hempen, S. 101–130.
  • Bahlo, Nils; Becker, Tabea; Steckbauer, Daniel (2016): Von „Klugscheißern“ und „Grammatik-Nazis“ – Grammatische Normierung im Internet. In: Spiegel, Carmen; Gysin, Daniel (Hrsg.): Jugendsprache in Schule, Medien und Alltag. Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 275–286.
  • Driffill, Rosie (2014): Confessions of a reformed grammar nazi. The Guardian. Online unter: https://www.theguardian.com/media/mind-your-language/2014/nov/14/mind-your-language-grammar-nazi ; Zugriff: 11.10.2022.
  • Eitz, Thorsten; Stötzel, Georg (2007): Wörterbuch der „VergangenheitsbewĂ€ltigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch. Bd. 1. Hildesheim: Olms.
  • Frick, Karina (im Ersch.): Beware, grammar police: Grammar and spelling (norms) as positioning tools on the internet. Bulletin suisse de linguistique appliquĂ©e.
  • Giesel, Linda (2019): NS-Vergleiche und NS-Metaphern. Korpuslinguistische Perspektiven auf konzeptuelle und funktionale Charakteristika. Berlin; Boston: De Gruyter.
  • Meletis, Dimitrios (2020): The nature of writing: A theory of grapholinguistics. Brest: Fluxus Editions.
  • Sherman, Tamah; Ć velch, Jaroslav (2015): “Grammar Nazis never sleep”: Facebook humor and the management of standard written language. Language Policy, Heft 4, Jg. 14, S. 315–334.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Meletis, Dimitrios (2022): Grammatiknazi / Grammar Nazi. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 15.11.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/grammatiknazi-grammar-nazi.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative FĂ€higkeit, lĂ€ngere zusammenhĂ€ngende sprachliche Äußerungen wie ErzĂ€hlungen, ErklĂ€rungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, mĂŒssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage fĂŒr Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die FĂ€higkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhĂ€ngig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, KrĂ€fteverhĂ€ltnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf WahrheitsansprĂŒche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff fĂŒr die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers JĂŒrgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚NormalitĂ€t‘ und ‚AnormalitĂ€t‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprĂ€gt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf EinfĂŒhrung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfĂ€ltig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe ĂŒberzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwĂŒnschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschrÀnkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird hÀufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden ĂŒber Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lĂ€sst sich ein BĂŒndel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter FlugblĂ€ttern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprĂŒnglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. WĂ€hrend Flugschriften und FlugblĂ€tter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der FrĂŒhen Neuzeit zunĂ€chst als Handelswaren verkauft und gingen so als frĂŒhe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenĂŒber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden mĂŒssen, was beispielsweise in Gesetzestexten fĂŒr eine (gewĂŒnschte) grĂ¶ĂŸtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts [
] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfĂŒllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert fĂŒr eine Person, eine Sache bzw. fĂŒr ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. WertschĂ€tzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich fĂŒr eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschĂ€tzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und BerĂŒcksichtigung von BedĂŒrfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zĂ€hlt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um fĂŒr oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der dĂŒsteren Zukunftsprognose

Der Topos der dĂŒsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale PrÀsenz auf ein Thema zu lenken und den PreistrÀger in seinem moralischen Image zu beschÀdigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht fĂŒr die höchste und letzte normative und LegitimitĂ€t setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen GrĂŒndungsakt eine Verfassung gibt.

ToxizitÀt / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lĂ€sst sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schĂ€dlich‘ erweitert hat, doch die UmstĂ€nde, unter denen etwas fĂŒr jemanden toxisch, d. h. schĂ€dlich ist, mĂŒssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwÀrtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezÀhlt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient hĂ€ufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die IllegitimitÀt dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre AnhĂ€nger wechselseitig der LĂŒge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

LĂŒgenpresse

Der Ausdruck LĂŒgenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird hĂ€ufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene PhĂ€nomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen JĂŒdinnen*Juden als JĂŒdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jĂŒdischer Andersartigkeit, ĂŒber vollstĂ€ndig ausgearbeitete Weltbilder, die JĂŒdinnen*Juden fĂŒr sĂ€mtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert fĂŒr die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), fĂŒr wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, fĂŒr abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/DiversitĂ€t.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, fĂŒr diskriminierend erklĂ€rte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das mĂ€nnliche Geschlecht, zu unterlassen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwĂ€rtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-KalkĂŒle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche ĂŒbertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die SphÀre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsĂ€chlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue BeitrÀge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue BeitrÀge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinÀres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

AntitotalitÀr? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ ĂŒber das kommende Jahr intensiv beschĂ€ftigen solle. FĂŒnf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewĂ€hlt, wenig ĂŒberraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…

Die Unordnung des Diskurses? Thesen zur semantischen Desorientierung in der gegenwĂ€rtigen medio-politischen Öffentlichkeit

Disclaimer I: Die nachfolgenden Zeilen sind das Zwischenergebnis kontinuierlicher gemeinsamer Beobachtungen und Diskussionen in der „Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention“ zu Debatten in Presse, Politik und sozialen Medien. Auch wenn diese Beobachtungen fachlich orientiert sind, liegen ihnen bisher keine systematischen Datenanalysen zugrunde.