DiskursGlossar

Flugblatt

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Flugschrift, Flyer, Flugpublizistik, Sharepic
Siehe auch: Propaganda, Medien, Werbung
Autorin: Sarah Schröder
Version: 1.0 / Datum: 08.02.2024

Kurzzusammenfassung

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus. Im Gegensatz zu diesen erscheinen Flugblätter oder Flugschriften jedoch unregelmäßig bzw. oft sogar nur einmalig, da sie anlässlich besonderer Gelegenheiten oder Situationen publiziert werden. Ein weiteres Merkmal besteht in ihrem oft persuasiven Charakter, der auf eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung ausgerichtet ist. Sie werden oft mit dem Ziel der Propaganda bzw. Agitation oder zu Werbezwecken eingesetzt und können sowohl von z. B. machthabenden Akteursgruppen als auch durch widerständische oder protestierende Gruppierungen verwendet werden, aktuell etwa durch Aktivistengruppen beispielsweise im Bereich der Klimaprotestbewegung. Aufgrund z. B. häufig fehlender Verfasserangaben lassen sich Flugblätter nur schwer zensieren, wodurch sie oft besonders im Zusammenhang mit Protest oder Widerstand in Erscheinung treten.

Erweiterte Begriffsklärung

Möglich wurde der Erfolg des Mediums durch die Entwicklung des modernen Buchdrucks und neuer Drucktechniken gegen Ende des 15. Jahrhunderts, wodurch die Voraussetzung für die schnelle Produktion bzw. Vervielfältigung geschaffen wurde (vgl. Bangerter/Schmid 1999: 785). Flugblätter entwickelten sich so im 16. Jh. zu einem der ersten Massenmedien, da Nachrichtenmedien wie Zeitungen oder Zeitschriften noch nicht in der heutigen Form existierten. Im Rahmen der Reformation erlebten Flugschriften eine Blütephase, für die Zeit zwischen 1520 und 1525 kann man von einer „Flugschriftenwelle“ sprechen, neu war, dass dieses Medium nun von fast „jedermann“ genutzt werden konnte (Schwitalla 1983: 7). Erste Erwähnungen der Begriffe Flugblatt und Flugschrift finden sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts und gehen auf franz. ,feuille volante zurück (vgl. Bellingradt/Schilling 2013: 274). Die Flug-Metaphorik weist dabei einerseits auf die relativ schnelle und einfache Herstellung hin, kann aber auch ganz wörtlich verstanden werden, da berichtet wird, dass Reichsritter Franz von Sickingen bereits 1522 Zettel in das belagerte Trier schießen ließ (vgl. Schilling 1990: 3). Im Zweiten Weltkrieg nutzte die Wehrmacht speziell für diesen Zweck entwickelte Raketenwerfer (,7,3 cm Propagandawerfer 41), während beider Weltkriege wurden Flugblätter auch häufig aus der Luft abgeworfen.

Abb. 1.: World War II: Catalog of Enemy Ordnance Materiel (o. J.): „7.3 cm Propaganda Rocket Projectile and Launcher“.

Der taktische Abwurf bot dabei einerseits die Möglichkeit in lokal begrenzte Kampfhandlungen einzugreifen, also etwa einzelne Truppenteile zur Aufgabe aufzufordern oder besonders bedrohte Orte zu warnen, andererseits handelte es sich teilweise bei Flugblättern auch oft um die einzige Möglichkeit, mit dem Gegner zu kommunizieren (vgl. Buchbender/Schuh 1974: 21). Ein weiterer Vorteil des Flugblatts besteht darin, dass dieses wiederholt gelesen und weitergegeben werden kann (vgl. ebd.). Durch diese meist nicht legale Weitergabe bzw. Verbreitung ist hier auch ein Bezug zur Guerillakommunikation gegeben.

Die Auflagenhöhe bewegte sich im Bereich von ca. 150–10.000 Exemplaren in der Frühen Neuzeit, bis hin zu Auflagen von teils Hunderttausend und mehr im Zweiten Weltkrieg (vgl. Bellingradt/Schilling 2013: 273). Ursprünglich stellten fliegende Blätter noch Verkaufsgüter dar; ein Flugblatt kostete in der Frühen Neuzeit etwa 2–4 Kreuzer (ungefähr der Stundenlohn eines unselbstständigen Handwerkers) (vgl. Bangerter-Schmid 1999: 786). Diese wirtschaftliche Facette förderte die Verbreitung der Flugpublizistik in der Frühen Neuzeit. Gerade in Zeiten der Zensur waren dadurch finanzielle Anreize für Händler geschaffen, sodass die verbotenen Schriften häufig geschmuggelt bzw. über geheime Transportwege befördert wurden (vgl. Bellingradt/Schilling 2013: 275). Generell kann eine starke Bindung an Konflikte oder Krisen beobachtet werden (vgl. Haude 1999: 820). Neben gesellschaftlichen und religiösen Debatten boten vor allem auch militärische Auseinandersetzungen Anlass zur Publikation. Höhepunkte bestanden daher etwa in reformatorischen Flugschriften („Flugschriftenboom“ bzw. „Flugschriftenexplosion“ [Bellingradt/Schilling 2013: 280]) sowie Schriften in der Zeit der Bauernkriege (1520–1525), auch der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) und die Französische Revolution gegen Ende des 18. Jh. führten zu weiteren Blütephasen (vgl. Bangerter-Schmid 1999: 788).

Die Begriffe Flugschrift und Flugblatt werden aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten häufig synonym verwendet, die Medien unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre formalen Eigenschaften. Die verschiedenen Medien können unter dem Begriff „Flugpublizistik“ zusammengefasst werden (Bellingradt/Schilling 2013: 273). Bei Flugblättern handelte es sich ursprünglich um Einblattdrucke, bei denen Illustrationen eine zentrale Rolle einnehmen. Das moderne Flugblatt unterscheidet sich nur in den Details, es ist ein- oder zweiseitig bedruckt (DIN A-6 bis DIN A-4 Format), statt etwa Holzschnitt oder Kupferstich werden moderne Verfahren wie der Rotationsdruck verwendet (vgl. Caemmerer 2017: 711). Flugschriften dagegen bezeichnen (ungebundene) Heftchen mit mehreren Seiten Umfang (4–16), Illustrationen spielen hier im Vergleich zum Flugblatt eine untergeordnetere Rolle. Eine neuere Entwicklung besteht in dem Aufkommen von Flyern. Dieses relativ junge Medium lässt sich auf die Verwendung von Jugendkulturen zurückführen, hier dienten sie zur Einladung zu Partys (vgl. Androutsopoulos 2000: 175). Neben ihrer primär appellativen Funktion als eine Art Werbeanzeige haben Flyer zusätzlich eine informative sowie auch eine ästhetische Funktion, wobei die visuelle Gestaltung mit der intendierten Wirkung und Ansprache der Zielgruppe verbunden ist (vgl. Androutsopoulos 2000: 184 f.). Heute sind Flyer weit verbreitet und können jegliche Veranstaltungen oder Produkte bewerben, also auch etwa zur Parteiwerbung etc. eingesetzt werden. Digitale Fortsetzungen des Flugblatts bestehen etwa in den ,Sharepics‘, dabei handelt es sich um mit einem prägnanten Text versehene Bilder, die der Verbreitung in sozialen Medien dienen. Diese „die Massen mobilisierenden“ Bilder, die z. B. durch Optik und inhaltliche Kürze Emotionen der Rezipient*innen ansprechen sollen, werden aber aufgrund ihrer Plakativität und der Verwendung etwa durch rechte Gruppen nicht ganz unkritisch gesehen (vgl. Reichenbecher 2022: 524). Sharepics werden auch von Parteien zur strategischen politischen Kommunikation eingesetzt, die AfD etwa nutzt auf Instagram häufig Sharepics, um „ihre politische Position [zu] kommunizieren“ (Krüger 2023: 114), aber auch die Grünen verwenden z. B. im Wahlkampf häufig diese Bilder (vgl. Krüger 2023: 112).

In Definitionen wird neben etwa der Aktualität und selbstständigen Veröffentlichung oft besonders das Ziel der Propaganda oder Agitation (bzw. Beeinflussung der Meinung oder des Handelns) sowie die Werbefunktion als gemeinsames Merkmal von Flugpublizistik hervorgehoben (vgl. Schwitalla 1999: 4 f.; Haude 1999: 820). Sie wird damit häufig zur Strategischen Kommunikation besonders in der Politik eingesetzt und verfolgt z. B. das Ziel, eigene Positionen zu legitimieren, bzw. abweichende Positionen zu delegitimieren. Flugblätter etwa sollen die Rezipient*innen „anspornen zu Taten, zu denen sie aufgefordert werden“ und in Flugschriften werden „aktuelle Forderungen entwickelt, vorgetragen und belegt“ (Straßner 1999: 795).

Auch bei Flyern steht neben der Informationsvermittlung besonders die appellative Funktion im Mittelpunkt, als Werbemittel sollen sie Adressat*innen beispielsweise zum Besuch einer Veranstaltung etc. bewegen (vgl. Androutsopoulos 2000: 184). Historisch kann die persuasive Ausrichtung der Medien als zentrale Konstante angesehen werden, das Ziel der handlungsleitenden Beeinflussung geht dabei „zumeist mit an die Adressat*innen gerichteten Direktiva (Aufforderungen, Mahnungen, Ratschlägen etc.) einher“ (Schuster 2022: 178). Das Erreichen dieses persuasiven Ziels hängt auch davon ab, welche Normen die Gruppe vertritt, die Rezipient*in angehört oder angehören möchte (Mitglieds- oder Bezugsgruppe), da zu weit abweichende Normen und Werte schwerer zu vermitteln sind (vgl. Buchbender/Schuh 1974: 22). Hier können verschiedene Techniken eingesetzt werden, einerseits kann ein Hinweis auf Normen vermieden werden, andererseits ist es auch möglich, zu suggerieren, dass andere Mitglieder der Gruppe bereits die intendierte Meinung oder Norm vertreten (vgl. ebd.). Die Wirksamkeit des Flugblatts beruht darüber hinaus auch auf der einfachen Lesbarkeit und Verständlichkeit, sowie Glaubwürdigkeit und überzeugenden Argumentation der Inhalte (vgl. Buchbender/Schuh 1974: 26–30).

Flugpublizistik war „als papierner Gegenwartsbeschleuniger“ von Beginn an stark an der Entstehung von Meinungsbildern beteiligt (Bellingradt/Schilling 2013: 275; Bellingradt 2011: 372). Sie regte zu Reaktionen, etwa zur Publikation antwortender Flugblätter, an, sodass die Sichtbarkeit konkurrierender Weltbilder gefördert wurde (vgl. Bellingradt/Schilling 2013: 275). Typisch sind daher oft mehr oder weniger ausgefeilte Streitschriften. Spätestens seit der Französischen Revolution folgte der Aufbau dabei den antiken Regeln der Rhetorik: Anrede, narratio (Erzählung), argumentatio (Beweisführung), conclusio (Schluss) (vgl. Straßner 1999: 797). Charakteristische Merkmale der schriftlichen Streitkommunikation bestehen in der Inszenierung sozialer Nähe zum Adressat*innen, der Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen (und damit einhergehend dem Aufbau von Feindbildern), der Verwendung ironischer, spöttischer oder humorvoller Mittel sowie der auf Verständlichkeit ausgerichteten Sprache (vgl. Schuster 2022: 179 f.). Eine weitere Gegenreaktion besteht in dem Versuch des Verbots, der Zensur oder Diskreditierung, beispielsweise wurden während des Nationalsozialismus bereits 1934 in Baden Flugschriften mit religiösen oder politischen Inhalten verboten, 1936 folgten in weiteren Ländern Richtlinien, die untersagten, Flugschriften in Kirchenräumen oder an Kirchentüren zu verteilen (vgl. Hofmann-Randall 1990: 17). Später wurden insbesondere Kriegsflugblätter streng verboten, „schon das Lesen oder der Besitz von solchen Flugblättern reichte für eine Anklage wegen Vorbereitung zum Hoch- bzw. Landesverrat aus“ (Hofmann-Randall 1990: 17).

Stilistisch bestand von Beginn an eine ausgeprägte Freiheit und Bandbreite, so wurden in Flugschriften teils Gedichte, Liedtexte, Dialoge, Gebete, Predigten, Fabeln, Briefe etc. eingebunden (vgl. Bellingradt/Schilling 280). Flugblätter des 16. Jh. sind noch zu 10–15 % lateinisch oder zweisprachig verfasst (abhängig vom behandelten Thema), während sich für das 18. Jh. häufig zweisprachige Texte in Deutsch und Französisch finden (vgl. Caemmerer 2017: 715–717).

Thematisch kann Flugpublizistik einerseits politisch bzw. gesellschaftskritisch ausgerichtet sein, in der Frühen Neuzeit waren aber auch beispielsweise Sensationsmeldungen oder erbauliche Inhalte populär. Flugblätter berichteten über ungewöhnliche Ereignisse oder Katastrophen (z. B. Naturkatastrophen, Missgeburten etc.), wobei auch immer besonders religiöse Aspekte im Mittelpunkt standen, da die Vorkommnisse oft als göttliche Strafe gedeutet wurden (vgl. Caemmerer 2017: 713). Diese Darstellungen sollten als Warnung verstanden werden und hatten so die Verhaltensänderung der Adressat*innen zum Ziel (vgl. Adam 1999: 136). Auch in ironischen Darstellungen von moralischen oder sittlichen Fehltritten zeigte sich vor allem auch eine sozialdisziplinierende Funktion (vgl. Caemmerer 2017: 713).

Mit der Konkurrenz durch die ersten Zeitungen im 17. Jh. (die sich durch ihren nüchternen Stil auszeichneten) nahmen polemische und spottende Elemente weiter zu, das Flugblatt wurde zum Propagandamittel (vgl. Caemmerer 2017: 712). Ziel der Flugblätter war nun oft „die intellektuelle oder moralische Vernichtung der angegriffenen Theorie oder Person“ (Straßner 1999: 797). Während des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71 wurde das Flugblatt dann erstmals von Machthabern in größerem Stil zu Propagandazwecken eingesetzt (vgl. Bangerter-Schmid 1999: 787), gerade im Rahmen der beiden Weltkriege erfuhr dieser Einsatzzweck weitere Verbreitung und wurde ein wichtiger Teil der psychologischen Kriegsführung. Generell kann Propaganda als typisches Instrument strategischer Kommunikation im Bereich der Militärpolitik angesehen werden. Anhand der Erkennbarkeit der Quelle kann in weiße (Absender ist klar erkennbar) und schwarze Propaganda (vorgegebener Absender) unterschieden werden, graue Propaganda liegt zwischen den beiden Polen, hier ist die Quelle nicht klar zu erkennen, bzw. irreführend. Während des Ersten Weltkriegs bildete sich das Feindflugblatt heraus, das bilateral eingesetzt wurde und sich an die feindlichen Soldaten richtete (vgl. Caemmerer 2017: 721). Ziel war die Demoralisierung des Gegners, dazu wurde versucht, den Feind in seiner Sprache anzusprechen, womit nicht nur die Nationalsprache gemeint ist, auch etwa die gängige Ausdrucksweise wurde berücksichtigt (vgl. Caemmerer 2017: 721 f.).

Eine Propagandastrategie der Engländer bestand beispielsweise darin, Briefe von Kriegsgefangenen im Original als Flugblatt zu verwenden, um deutsche Soldaten zur Desertation zu bewegen. Dabei wurde besonders die gute Behandlung oder Versorgung betont (vgl. Caemmerer 2017: 722, Kirchner 1985: VIII), ein Flugblatt (siehe hier/LAGIS o. J.) gibt etwa den Brief des deutschen Unteroffiziers Karl Dick an seine Frau Käthe vom 19.01.1918 wieder (vgl. Kirchner 1985: 162): Die Behandlung in engl. Gefangenschaft verkennt man am heimatlichen Herd. Unser Komp. Führer ist ein netter ruhiger Mensch. Die Verpflegung ist wirklich gut.

Für die Zeit des Zweiten Weltkriegs können drei zentrale Typen von Flugblättern differenziert werden (vgl. Buchbender/Schuh 1974: 24):

  1. Informative Flugblätter (Vermittlung von Informationen)
  2. Suggestive Flugblätter (Emotionale Ansprache der Rezipient*innen)
  3. Instruktive Flugblätter (Anweisungen oder Aufforderungen zum Handeln)

Das Layout des Flugblatts besteht dabei aus den (optionalen) Einheiten: Adresse, Überschrift, Text, Bild, Absender und Einfassung, wobei Adresse, Schlagzeile, Absender und Einfassung als Rahmenelemente dienen (vgl. Buchbender/Schuh 1974: 24).

Gleichzeitig kommt dem Flugblatt auch besonders im Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine wichtige Rolle und Funktion zu, da in totalitären Staaten oft keine andere Möglichkeit der Teilhabe bestand. Dies wurde auch teilweise von den Autor*innen selbst direkt thematisiert, wie etwa im zweiten Flugblatt Das freie Wort! der Widerstandsgruppe um Hanno Günther und Elisabeth Pungs (vgl. Schuster 2022: 185):

Leider verbietet uns die Polizei desselben Ministers ihm in freier und offener Rede zu antworten. Und so müssen wir ihm auf diesem, etwas umständlichen, aber im national-sozialistischen Volksstaat nicht mehr ungewöhnlichem Wege, die Antwort geben. (Gedenkstätte Deutscher Widerstand o. J.: Folge 2)

Dank der oft fehlenden Verfasserangaben und der schnellen Herstellung und Verteilung sind Flugblätter oder -schriften nur schwer zu kontrollieren, Zensur lässt sich daher auf sie kaum anwenden (Bellingradt/Schilling 2013: 275). Flugpublizistik ist daher im Bewusstsein der Menschen oft mit Widerstand oder Protest verbunden. Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus erlangten etwa besonders die Flugblätter der Weißen Rose, bei deren Auslegung in der Münchner Universität die Geschwister Scholl überrascht wurden, große Bekanntheit. Flugblätter wurden auch in der DDR zur Regimekritik eingesetzt, eine ergebnislose Fahndung an der Humboldt-Universität kostete die Stasi eine Million Mark, es handelte sich damit um das „teuerste Flugblatt der Welt“ (Schottlaender 1993).

Beispiele

(1) Aufruf der Aktivistengruppe End Fossil Paderborn

End Fossil Paderborn: Das Audimax ist besetzt
Abb. 2: End Fossil Paderborn (2023): „Das Audimax ist besetzt“.

Im Rahmen der aktuellen Klimabewegung wurde am 05.06.2023 der größte Hörsaal der Universität Paderborn von Klimaaktivisten der Gruppe End Fossil: Occupy! besetzt, bei dieser Gelegenheit lag auch ein Flugblatt aus, das stellvertretend für aktuelle Protestschreiben betrachtet wird.

Besonders dominant sind hier die Direktiva, also sprachliche Handlungen, die die Leser*innen zu einer Handlung veranlassen sollen. Die zentrale Aufforderung zur Mitwirkung Deshalb hoffen wir auf eure Solidarität in der Besetzung! auf der ersten Seite des Flugblatts ist durch ihre Position, die Großschreibung sowie farblich besonders hervorgehoben. Die zweite Seite stellt eine Art ,Forderungenkatalog‘ der Gruppierung dar. Eingeleitet durch Unsere Forderungen folgen die einzelnen Anliegen (Bessere Studienbedingungen, Transformation der Lehre und Demokratisierung). Bei der Forderung nach Demokratisierung wird auch die typische Verwendung von Schlagwörtern deutlich. Auffällig ist auch die Gegenüberstellung der erwarteten Klimakatastrophe auf der einen Seite, mit dem Kampf der eigenen Gruppe für Klimagerechtigkeit auf der anderen Seite. Mehrmals wird anhand der Verwendung des Personalpronomens wir (wir als junge Menschen) eine inszenierte Solidarisierung mit den Rezipient*innen deutlich. Während so die eigene Gruppenidentität konstruiert oder verstärkt werden soll, wird gleichzeitig auch die Gegner- oder Feindgruppe direkt benannt. Einerseits grenzt man die eigene Gruppe von Politiker:innen ab, denen man durch unterlassene Handlungen eine (Mit-)Verantwortung an den Klimakatastrophen zuschreibt, zusätzlich möchte man sich von profitorientierten Geldgebern loslösen.

(2) Flugblatt des Arbeitskreises für politische Ökologie

Etwa ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre protestierte die Anti-Atomkraft-Bewegung gegen die Nutzung der Kernenergie, der Konflikt verschärfte sich besonders 1977, nachdem der Staat etwa bei der Besetzung des Atomkraftwerks Grohnde hart durchgriff und nach der Räumung des Lagers hohe Strafen verhängte. Zu dieser Besetzung des Kraftwerks rief u. a. ein Flugblatt (siehe hier/Archiv Deutsches Atomerbe o. J.) des Arbeitskreises für politische Ökologie auf, wobei die wiederholte Verwendung des Schlagworts Widerstand auffällt, wodurch die Besetzung positiv bewertet und in einen Zusammenhang mit anderen Widerstandsbewegungen (etwa gegen den Nationalsozialismus) gesetzt wird. Das Flugblatt informiert zunächst über die bisherigen Fortschritte beim Aufbau des Lagers, es folgen Aufforderungen an die Rezipient*innen (Kommt alle) sowie eine Auflistung von Forderungen, die durch Unsere Forderungen lauten nach wie vor eingeleitet werden. Die Aufzählung richtet sich also nicht nur (bzw. nicht primär) an den Staat bzw. die Machthaber*innen zur Umsetzung der gestellten Forderungen, sondern eher auch an die Leser*innen, die über die Ziele der Gruppe informiert werden sollen. Deutlich wird auch hier, von welchen Gruppierungen sich die Autor*innen abgrenzen möchten, auffällig ist die Ablehnung staatlicher Institutionen, einerseits der Gerichte (Wir haben schon mehrmals erfahren, was wir von den Gerichten zu erwarten haben), andererseits besonders auch der Polizei. Die Autor*innen prangern hier einen brutalen Einsatz gegen Demonstranten sowie Bürgerkriegsmanöver an.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Schilling, Michael (1990): Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis 1700. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
  • Schwitalla, Johannes (1999): Flugschrift. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.

Zitierte Literatur

  • Adam, Wolfgang (1999): Theorien des Flugblatts und der Flugschrift. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, Hans-Werner; Schwarze, Dietrich; Straßner, Erich (Hrsg.): Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Berlin, New York: de Gruyter, S. 132–143.
  • Androutsopoulos, Jannis K. (2000): Die Textsorte Flyer. In: Adamzik, Kirsten (Hrsg.): Textsorten: Reflexionen und Analysen. Tübingen: Stauffenburg, S. 175–214.
  • Archiv Deutsches Atomerbe e.V. (o. J.): Bürgerinitiativen Umweltschutz Unterlebe. Arbeitskreis für politische Ökologie. Online unter: https://www.archiv-atomerbe.de/katalog/data/B-9/19770600_B-9-11-1_BUU-AntiAKWTelegramm-KuehlturmgelaendeAKWGrohndeBesetzt-Flugblatt.pdf ; Zugriff: 06.02.2024.
  • Bangerter-Schmid, Eva-Maria (1999): Herstellung und Verteilung von Flugblättern und Flugschriften in ihrer geschichtlichen Entwicklung. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, Hans-Werner; Schwarze, Dietrich, Straßner, Erich (Hrsg.): Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Berlin, New York: de Gruyter, S. 785–789.
  • Bellingradt, Daniel (2011): Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches. Stuttgart: Franz Steiner.
  • Bellingradt, Daniel; Schilling, Michael (2013): Flugpublizistik. In: Binczek, Natalie; Dembeck, Till; Schäfer, Jörg (Hrsg.): Handbuch Medien der Literatur. Berlin, Boston: de Gruyter, S. 273–289.
  • Buchbender, Ortwin; Schuh, Horst (1974): Heil Beil! Flugblattpropaganda im Zweiten Weltkrieg. Dokumentation und Analyse. Stuttgart: Seewald Verlag.
  • Caemmerer, Christiane (2017): Flugblätter. In: Niehr, Thomas; Kilian, Jörg; Wengeler, Martin (Hrsg.): Handbuch Sprache und Politik. Bremen: Hempen, S. 710–731.
  • Gedenkstätte Deutscher Widerstand (o. J.): Flugblatt „Das Freie Wort!“ Folge 2. Online unter: https://www.was-konnten-sie-tun.de/themen/th/fuer-den-frieden-eintreten/ ; Zugriff: 06.02.2024.
  • Haude, Sigrun (1999): Geschichte von Flugblatt und Flugschrift als Werbeträger. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, Hans-Werner; Schwarze, Dietrich; Straßner, Erich (Hrsg.): Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Berlin, New York: de Gruyter, S. 820–824.
  • Hofmann-Randall, Christina (1990): Die Flugschriften der Universitätsbibliothek Eichstätt. Wiesbaden: Harrassowitz.
  • Kirchner, Klaus (1985): Flugblatt-Propaganda im 1. Weltkrieg. Flugblätter aus England 1914–1918. Bibliographie, Katalog. Erlangen: Verlag D + C.
  • Krüger, Christine (2023): Deutsche Parteien auf Instagram: Analysen der Wahlkampfstrategien zur Bundestagswahl 2017. In: Nehl, Patrick; Thimm, Caja (Hrsg.): Digitale Kulturen, Digitale Praktiken. Empirische Zugänge zur tiefgreifenden Mediatisierung. Berlin: LIT Verlag, S. 87–122.
  • LAGIS (o. J.): Briefe hessischer Soldaten auf englischen Propaganda-Flugblättern, 1914–1918. Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen. Online unter: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/browse/sourceId/77/page/2/sn/qhg ; Zugriff: 06.02.2024.
  • Reichenbecher, Franziska (2022): Sharen. In: Christians, Heiko; Bickenbach, Matthias; Wegmann, Nikolaus (Hrsg.): Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Band 3. Wien, Köln: Böhlau Verlag, S. 500–529.
  • Schilling, Michael (1990): Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis 1700. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
  • Schottlaender, Rainer (1993): Das teuerste Flugblatt der Welt. Berlin: Selbstverlag.
  • Schuster, Britt-Marie (2022): Flugblatt – Flugschrift. In: Kämper, Heidrun; Schuster, Britt-Marie (Hrsg.): Im Nationalsozialismus. Praktiken – Kommunikation – Diskurse. Teil 2. Göttingen: V&R unipress, S. 177–221.
  • Schwitalla, Johannes (1983): Deutsche Flugschriften, 1460–1525. Textsortengeschichtliche Studien. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
  • Schwitalla, Johannes (1999): Flugschrift. Tübingen: Max Niemeyer.
  • Straßner, Erich (1999): Kommunikative Aufgaben und Leistungen des Flugblatts und der Flugschrift. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, Hans-Werner; Schwarze, Dietrich; Straßner, Erich (Hrsg.): Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Berlin, New York: de Gruyter, S. 794–802.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Schröder, Sarah (2024): Flugblatt. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 08.02.2024. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/flugblatt.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…