DiskursGlossar

Kulturelle Grammatik

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Diskursordnung, Diskursregime, Diskursmuster, Mythisches System, symbolische Ordnung, kulturelle Muster
Siehe auch: Guerillakommunikation, Diskurs
Autor: Hagen Schölzel
Version: 1.2 / Datum: 10.08.2022

Kurzzusammenfassung

Kulturelle Grammatik steht für ein System von Regeln und/oder etablierten Regelmäßigkeiten, die Formen richtiger und/oder normaler Kommunikation und Interaktion auszeichnen. Es kann sich um Merkmale einer explizit festgelegten Ordnung (oder eines Regimes wie zum Beispiel ein Senioritäts- oder ein Geschlechterregime für die Besetzung von Redelisten) sowie um als normal geltende Kommunikationsmuster handeln. Die Markierung als kulturell verweist auf symbolische Praktiken; die Markierung als Grammatik auf ein im Hintergrund der Praktiken (unbewusst) wirksames Regelsystem. Erkennbar wird eine Kulturelle Grammatik vor allem dann, wenn Kommunikationsformen als irritierend bzw. störend und/oder als innovativ bzw. lustig wahrgenommen werden (z.B. Guerillakommunikation). Als Kulturelle Grammatik werden etablierte und normalerweise nicht hinterfragte Regeln für Kommunikations- und Interaktionspraktiken bezeichnet, die jedoch nicht endgültig festgelegt sind. Kulturelle Grammatiken entstehen aus regelmäßiger Wiederholung und Nachahmung (Konventionalisierungen). Wenn zuvor als regelbrechend wahrgenommene Kommunikationsformen als neu etablierte Kommunikationsformen mit neuen Regeln anerkannt werden, verändert sich eine Kulturelle Grammatik.

Erweiterte Begriffsklärung

Der Begriff der Kulturellen Grammatik wurde für die deutschsprachige Diskussion im Handbuch der Kommunikationsguerilla (Autonome A.f.r.i.k.a. Gruppe et al. 2001) geprägt und steht dort für „das Regelsystem, das gesellschaftliche Beziehungen und Interaktionen strukturiert“ (A.f.r.i.k.a. 2001: 17), für das „Gerüst von Normalitäten“ oder dafür, „wie (bürgerliche) gesellschaftliche Normen das alltägliche Leben der Menschen bestimmen“ (A.f.r.i.k.a. 2001: 24 ff.). Um das Konzept zu erklären, wird auf verschiedene sprachwissenschaftliche sowie daran anschließende sozialwissenschaftliche Überlegungen zurückgegriffen.

Ausgehend von der strukturalistischen Sprachwissenschaft lassen sich als eine Grammatik diejenigen Regeln und Festlegungen verstehen, mit denen die formalen Bedingungen geschaffen werden, unter denen sprachliche Zeichen zu verständlichen Sinnzusammenhängen zusammengefügt werden können. Um Sinnzusammenhänge zu erzeugen, müssen also die passenden Worte und Zeichen in der richtigen syntaktischen Reihenfolge und entsprechend ihrer Stellung und Funktion in einem Satz in der richtigen Form zusammengefügt werden. Der Begriff der Kulturellen Grammatik verweist auf die Existenz vergleichbarer, nicht nur auf Sprache, sondern auf alle möglichen symbolischen Interaktionen bezogener Regelsysteme. Als Beispiel dafür werden die Regeln eines geordneten Unterrichts oder einer öffentlichen Versammlung genannt, die eingehalten werden (müssen), damit das gesellschaftliche Miteinander funktioniert.

Der Begriff der Kulturellen Grammatik bezieht sich aber nicht nur auf die Formationsregeln bestimmter Praktiken der Kommunikation und Interaktion, sondern schließt die dabei entstehenden Sinnzusammenhänge ein, indem darauf hingewiesen wird, dass bestimmte Praktiken eine versteckte, gleichsam unbewusste gesellschaftliche Bedeutung haben können. Als weitere konzeptionelle Referenz wird dafür im Handbuch der Kommunikationsguerilla die Mythostheorie von Roland Barthes aufgeführt (vgl. Barthes 1964). Barthes bezeichnet als Mythos nicht nur ein (abstraktes) Regelsystem, sondern auch eine (hintergründige) Bedeutung bestimmter kommunikativer Erzeugnisse oder kultureller Praktiken.

Als prominentes Beispiel führt er die Rose an, womit vordergründig eine bestimmte Blumensorte mit gewissen Eigenschaften (Aussehen, Duft, Dornen etc.) gemeint ist. Hintergründig beziehungsweise als Mythos wird die Rose im Zusammenhang bestimmter konventioneller Praktiken – als Geschenk eines Menschen an einen anderen – aber auch als mythisches Symbol für besondere Zuneigung und Liebe verstanden. Das gilt jedenfalls für bestimmte Gesellschaften, und der Rosenmythos wird dann richtig praktiziert und verstanden, wenn man mit den Konventionen dieser Gesellschaften vertraut ist. Als ein anderes Beispiel diskutiert Barthes die Abbildung eines salutierenden französischen Soldaten afrikanischer Abstammung vor einer Trikolore auf dem Titelbild einer Zeitschrift. Vordergründig steht ein solches Bild für Dinge wie den Nationalstolz französischer Soldaten oder die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die Institutionen des französischen Staats. Hintergründig kann man solch ein Bild aber auch mit der verdrängten Kolonialgeschichte Frankreichs oder mit dem Rassismus der französischen Gesellschaft in Verbindung bringen. Die Titelseite erzeugt also einen Mythos beziehungsweise eine mythische Aussage, weil sie die Beziehung zwischen dem kolonialen Frankreich und seinen kolonisierten Subjekten entproblematisiert und entpolitisiert. Der Mythos stabilisiert damit die etablierte Ordnung (oder die Kulturelle Grammatik) der französischen Gesellschaft.

child soldier cover Paris Match
Abb. 1: Cover der Paris Match mit einem salutierenden französischen Soldaten.

Neben dem Handbuch der Kommunikationsguerilla als der zentralen Referenz für die deutschsprachige Diskussion zu Kultureller Grammatik findet man vergleichbare Verständnisse von cultural grammar in verschiedenen englischsprachigen Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Disziplinen. In der ethnographischen und kulturwissenschaftlichen Sprachforschung wird der Begriff verwendet, um hintergründig wirksame kulturelle Strukturen, Kontexte, Rituale, Rollen, Statussymbole, Verhaltensmuster, Glaubens- und Wertesysteme, Annahmen und Haltungen etc. zu bezeichnen (vgl. Flowerdew/Miller 1996; Palmer 2018). In der Kulturpsychologie und Philosophie werden damit unbewusste Regeln für ein angemessenes Denken, Fühlen, Sprechen und Interagieren (vgl. Wierzbicka 1996) oder ein Set an kulturellen Regeln (analog zu sprachlichen Grammatiken), die für das Beherrschen konkreter kultureller Praktiken relevant sind (vgl. Li 2007), diskutiert. Auch in sozialwissenschaftlichen Disziplinen taucht der Begriff auf. Es werden damit Prinzipien bezeichnet, nach denen sich die Dynamiken von Sinn erzeugenden Prozessen, z.B. von Reflexivität, entfalten (vgl. Ailon 2011; Veldman/Willmott 2016). Oder es wird die Eigenlogik bestimmter Wirtschaftszweige, wie des Tourismus (vgl. Hou 2012), und die Relevanz bestimmter, kulturell verankerter Zeitmuster für Managementprozesse bezeichnet (vgl. e Cunha/e Cunha 2004). Oder es werden kulturelle Grundlagen von Prozessen der Nationenbildung beschrieben (vgl. Löfgren 1993) sowie kollektive politische Selbstverständnisse der „Größe“ (greatness), die Globalisierungsprozesse mit Großmachtambitionen verbinden (vgl. Mallavarapu 2007).

Der Begriff der Kulturellen Grammatik betont also die Regel- oder Musterhaftigkeit bestimmter Kommunikations- und Interaktionsprozesse, bleibt in Bezug auf die konkreten Regeln oder Muster dabei allerdings unterbestimmt. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die Stabilität und Routinen erzeugende Wirkung solcher Regeln und Muster. Zugleich zeichnet sich aber in den verschiedenen Verwendungen auch die Vorstellung ab, dass Kulturelle Grammatiken veränderlich sind, also erlernt und abgelegt, übertragen, adaptiert und neu erfunden werden können. Um diesen Aspekt zu betonen, wird das Konzept der Kulturellen Grammatik auch analog zu Diskursmustern oder Diskursordnungen verstanden, die sich kulturell und historisch situieren sowie auch transformieren lassen, und die in Konflikt zueinander geraten können (vgl. Schölzel 2013: 36-41). Als konkurrierende Kulturelle Grammatiken in der politischen Kommunikation lassen sich beispielsweise sogenannte Wahrheitsdiskurse und hegemoniale Diskurse unterscheiden. Erste operieren mit bestimmten nicht hinterfragten, (fundamental) geltenden Aussagen, um die herum sich bestimmte Muster ,wahrer‘ Kommunikation etablieren, die zum Beispiel Ausschlüsse von Sprecher*innen ohne Expertenstatus, von Aussagen ohne Expertenqualität und von nicht-zertifizierten, unvernünftigen Artikulationsformen nach sich ziehen. Hegemoniale Diskurse werden rund um inhaltlich unterbestimmte, sogenannte ,leere‘ Signifikanten gebildet, zum Beispiel ,Freiheit‘ oder ,Gerechtigkeit‘, die es ermöglichen, zahlreiche heterogene Bedeutungsgehalte in die hegemonialen Aussagen hineinzuprojizieren und auf diese Weise symbolisch zu integrieren.

Beispiele

Mit dem Begriff der Kulturellen Grammatik können zahllose Regeln und Regelmäßigkeiten in allen gesellschaftlichen Situationen erfasst werden, von Verhaltensregeln im Alltag oder zu besonderen Anlässen, über Sitzordnungen und ähnliches, bis hin zu architektonischen Ensembles oder Mediendispositiven, die bestimmte Beziehungsmuster erzeugen.

Ein typisches Beispiel, das auch im Handbuch der Kommunikationsguerilla diskutiert wird, ist eine öffentliche Wahlkampfveranstaltung, die nach bestimmten Regeln abläuft: Es handelt sich zunächst um ein spezifisches Kommunikationsereignis, das nur in bestimmten zeitlichen und örtlichen Umständen Sinn ergibt, also im Rahmen einer Kampagne vor einem Wahltermin und an einem öffentlich zugänglichen, für das Zusammenkommen von vielen Menschen geeigneten Ort. In der Regel werden auf einer solchen Veranstaltung eine/r oder mehrere Politiker*innen an einem herausgehobenen Platz, also auf einer Bühne oder einem Podium, auftreten, um zu sprechen. Dafür werden bestimmte technische Medien eingesetzt: Mikrofon und Lautsprecher oder ein Megafon, und der Ort der Versammlung wird mit Wahlplakaten, Flaggen oder ähnlichem besonders markiert werden. In der Versammlung wird ein klarer Unterschied produziert zwischen der Redner*in, die die inhaltlichen Aussagen bestimmt, und dem Publikum, das in der Regel zuhört und seine Zustimmung durch Applaus kundtun kann. Die Kulturelle Grammatik bleibt unbewusst, solange alle Beteiligten ihre Regeln befolgen und die Veranstaltung ohne Störung ablaufen kann. Sichtbar wird sie dann, wenn die Veranstaltung aus dem Ruder läuft, etwa weil eine Person auf das Podium springt, der Redner*in das Mikrofon entreißt und selbst sprechen will. Die Reaktionen auf solch eine Störung entscheiden darüber, ob die Kulturelle Grammatik in dieser Situation als geltende Regel durchgesetzt wird, zum Beispiel indem Ordner*innen die Störer*in wegbringen, oder ob eine Transformation stattfindet, indem das Podium für andere Sprecher*innen geöffnet wird und die Veranstaltung damit einen anderen Charakter erhält.

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Schölzel, Hagen (2013): Guerillakommunikation. Genealogie einer politischen Konfliktform, Bielefeld: transcript. (Hierzu: S. 32-36; 211-219; 311-326)

Zitierte Literatur

  • Ailon, Galit (2011): Mapping the cultural grammar of reflexivity: the case of the Enron scandal. In: Economy and Society, Heft 1, Jg. 40, S. 141–166.

  • Autonome A.f.r.i.k.a. Gruppe; Blissett, Luther; Brünzels, Sonja (2012): Handbuch der Kommunikationsguerilla. Hamburg: Assoziation A.
    Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

  • Flowerdew, John; Miller, Lindsay (1996): Lectures in a second language: Notes towards a cultural grammar. In: English for Specific Purposes, Heft 2, Jg. 15, S. 121–140.

  • Hou, Chun Xiao (2012): China and Deep-Rooted Vision: Cultural Grammar in Contest in Tourism, Today. In: Tourism Analysis, Heft 3, Jg. 17, S. 387–397.

  • Li, Chenyang (2007): Li as Cultural Grammar: On the Relation between Li and Ren in Confucius‘ Analects. In: Philosophy East and West, Heft 3, Jg. 57, S. 311–329.

  • Löfgren, Orvar (1993): The cultural grammar of nation-building: The nationalization of nationalism. In: Anttonen, Perrti; Kvideland, Reimund (Hrsg.): Nordic frontiers: Recent issues in the study of modern traditional culture in the Nordic countries. Turku: Nordic Institute of Folklore, S. 217–238.

  • Mallavarapu, Siddhardt. (2007): Globalization and the Cultural Grammar of ‘Great Power’ Aspiration. In: International Studies, Heft 2, Jg. 44, S. 87–102.

  • Palmer, Gary B. (2018): Cultural grammar and the cultural linguistics heritage from the pre-Millennials. An argument for scenarios. In: International Journal of Language and Culture, Heft 1, Jg. 5, S. 29–65.

  • Pina E. Cunha, Miguel; Campos E. Cunha, Rita (2004): Changing a cultural grammar? The pressure towards the adoption of “Northern time” by Southern European managers. In: Journal of Managerial Psychology Heft 8, Jg. 19, S. 795–808.

  • Schölzel, Hagen (2013): Guerillakommunikation. Genealogie einer politischen Konfliktform, Bielefeld: transcript.

  • Veldman, Jeroen; Willmott, Hugh (2016): The cultural grammar of governance: The UK Code of Corporate Governance, reflexivity, and the limits of ‘soft’ regulation, in: Human Relations, Heft 3, Jg. 69, S. 581–603.

  • Wierzbicka, Anna (1996): Japanese Cultural Scripts: Cultural Psychology and „Cultural Grammar“. In: Ethos, Heft 3, Jg. 24, S. 527–555.

Abbildungsverzeichnis

Zitiervorschlag

Schölzel, Hagen (2022): Kulturelle Grammatik. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 10.08.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/kulturelle-grammatik.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…