DiskursGlossar

Nudging

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke:
Nudges, Schubsen/Stupsen, Entscheidungsarchitektur, Verhaltensökonomie
Siehe auch: Werbung, Propaganda, Ökonomisierung, Manipulation, Strategische Kommunikation
Autorin: Susanna Weber
Version: 1.3 / 11.07.2020

Kurzzusammenfassung

Nudging (Englisch: ,Schubsen, Stupsen‘) ist die Bezeichnung für eine Technik und Praxis strategischer Kommunikation. Dem Anspruch nach soll durch Nudging Verhalten ohne Zwang gelenkt werden, und zwar durch Veränderung der Rahmenbedingungen für Entscheidungen (der ,Entscheidungsarchitektur‘). An Stelle von ökonomischen oder sozialen Anreizen wie Preisen, Prestige oder rechtlich bindenden Verboten sollen Nudges erwünschtes Verhalten zwanglos bahnen. Aus der Position eines ,liberalen Paternalismus‘ heraus (Wir wissen, was gut für euch ist) werden Entscheidungen gesteuert: durch bestimmte Voreinstellungen (z.B. Zustimmung gilt als normal, Abweichung muss markiert werden), Symbole oder auch materielle Arrangements (Barrieren, Markierungen). Nudges bzw. deren Intentionen sind für die Adressaten oft nicht erkennbar, gleichwohl gehört Nudging inzwischen zum Repertoire aktueller Regierungstechniken.

Erweiterte Begriffsklärung

Das Konzept des Nudging stammt aus der Verhaltensökonomie (Kahnemann/Tversky 1974), einem Zweig der akademischen Ökonomie. Nudging wurde 2008 popularisiert durch ein Buch des Juristen Cass R. Sunstein und des Verhaltensökonomen Richard H. Thaler und seither zu einem politischen Werkzeug ausgebaut. Unter anderem richteten die Regierungen des US-Präsidenten Obama und des britischen Regierungschefs Cameron entsprechende Beraterstäbe ein (Behavioral Insights-Teams/Nudge-Units), ebenso die EU mit dem CCBI (Centre of Behavioral Insights). 2015 folgte auch die Regierung Angela Merkels, die bis heute von der Abteilung Wirksam Regieren beraten wird, welche auch Nudging-Strategien empfiehlt.

Die Verhaltensökonomie zielt darauf, die zunehmend umstrittenen Modelle der herrschenden Ökonomik, v.a. die Standardannahmen des ,homo oeconomicus‘, zu ersetzen bzw. zu ergänzen. Deren Modellannahmen vernachlässige die Tatsache, dass Menschen sich durchaus nicht nur rational und den eigenen Nutzen maximierend verhalten (sie rauchen und trinken zu viel, sie ernähren sich ungesund). Gerade diese ,Verhaltensanomalien‘ bilden die Grundlage der Verhaltensökonomik und der hieraus abgeleiteten Strategie des Nudging. Nudging-Konzepte gehen also davon aus, dass Menschen z.B. kurzfristige Interessen gegenüber langfristigen bevorzugen, langfristige Folgen unterschätzen oder einfach irrational handeln. Durch gezielt gesetzte Nudges (,Schubser‘) in Form sprachlich gefasster oder materieller Impulse sollen Menschen deshalb vor sich selbst ,geschützt‘, individuelle Entscheidungsschwächen kompensiert werden.

Nudges nutzen zur Lenkung vor allem veränderte Voreinstellungen in Entscheidungssituationen: zum Beispiel, wenn Abweichung von der gesetzten Voreinstellung ausdrücklich angezeigt werden muss und nicht-Reaktion als Zustimmung gilt. So war es zum Beispiel vorgesehen bei der jüngst diskutierten, dann jedoch gescheiterten Widerspruchslösung zur Organspende. Vorgeblich neutrale Vergleiche (Zum Beispiel: der Energieverbrauch ihrer Nachbarn war deutlich geringer, als Zusatz auf einer Stromrechnung) bilden eine weitere Gruppe von Nudges.

Dem Anspruch nach ist Nudging eine Alternative zu hartem Paternalismus einerseits und individueller Autonomie andererseits. Befürworter stellen in den Mittelpunkt, dass Individuen durch Nudging ihre Entscheidungsfreiheit grundsätzlich behielten und nur dazu veranlasst werden sollten, ihren eigenen Interessen besser gerecht zu werden. Nach Sunstein ist es oft „too burdensome“ (Sunstein 2014: 5), also zu aufwändig oder zu belastend, sich vor einer Entscheidung mit Argumenten und Informationen auseinanderzusetzen. Nudges bieten hier ein Instrument zur Reduktion von Komplexität, aber um den Preis ebenfalls reduzierter Entscheidungsfreiheit. Nicht Aufklärung, Erkenntnis, informierte Subjekte sind also das Ziel, sondern Konditionierungen, die Verhalten leichter vorhersehbar und damit leichter steuerbar machen. Eine weitere Strategie aus dem Arsenal der Verhaltensökonomie, boosting (engl.: ,ankurbeln‘, ,antreiben‘) ist in diesem Zusammenhang interessant. Diese Strategie der Beeinflussung durch Steigerung der Entscheidungs- und Selbstkontrollkompetenzen wird durch die Verbindung mit dem Zauberwort Kompetenz stark gemacht und unterschiedlich in Stellung gebracht: mal als Alternative zu Nudging, mal als Ergänzung. Boosts zielen nach dieser Definition nicht direkt auf Verhalten (wie Nudges), sondern auf Kompetenzen, z.B. auf kognitive (Welche Entscheidungsstrategien kann ich einsetzen?) oder motivationale (Wie bringe ich mich dazu, mehr Sport zu treiben?). „Wenn Entscheider*innen die kognitiven Fähigkeiten oder die Motivation zum Erwerb neuer Fähigkeiten oder Kompetenzen fehlen, ist Nudging wahrscheinlich der effizientere Ansatz.“ (Hertwig/Herzog: 34). Diese Einschätzung formulierten zwei führende und einflussreiche Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin. Darüber hinaus bewerten sie die Fähigkeit des Self-Nudging (die Verschmelzung von Nudges und Boosts) als Ideal, also die ausgewiesene Fähigkeit, von außen gesteuerte Impulse für Verhalten als selbstgesteuert und gewollt zu erleben (Hertwig/Herzog 2019: 32).

Kritische Einschätzungen kommen unter anderem aus der Praktischen Philosophie, die vor allem die Vorannahmen des libertären Paternalismus kritisiert, so das vermeintlich Defizitäre menschlicher Entscheidungen, das als eine Art „verfehltes Wollen“ (Schramme, ZfPP 2016: 544) angesehen wird. Eine kritische sozialwissenschaftliche Perspektive vertritt vor allem der Soziologe Ulrich Bröckling. Dabei sind es nicht in erster Linie einzelne Nudges, die als kritikwürdig beschrieben werden (Bröckling 2017). Bröckling ordnet Nudging den Regierungstechniken zu, die er zugespitzt als „Zurichtungspraktiken“ bezeichnet. Aber anders als Disziplinartechniken wie Strafen oder „Strategien der Optimierung“ wie Wettbewerb und Konkurrenz „weitet die Politik der Nudges die Regierbarmachung der Menschen noch aus, indem sie ihre Verhaltensanomalien dem lenkenden Zugriff erschließt.“ (Bröckling 2017: 188 f.). Wesentliche Argumente Bröcklings gegenüber Nudging-Strategien sind die Verschiebung von Verantwortung und die Entpolitisierung (Bröckling 2017: 190). Auf diese Weise wird zum Beispiel Gesundheit zu einem Thema der individuellen Lebensführung gemacht und nicht etwa in den Rahmen der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse gestellt. Mit realisierten und geplanten Nudging-Aktivitäten seit der Einsetzung der Beratergruppe Wirksam Regieren im Jahr 2015 befasst sich auch ein Gutachten (ABIDA), das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF) in Auftrag gegeben und 2018 veröffentlicht wurde. Im Vordergrund stehen dabei die wachsenden Möglichkeiten der Kombination von Nudging und digitalen Technologien. Das Gutachten bezeichnet die digitalen Entscheidungsarchitekturen als „Risikotechnologie“ (ABIDA 2018: 8) und sieht „Gefahren“ für „Würde und Autonomie“ der Menschen, es drohe Diskriminierung und die „Unterminierung des Solidarprinzips“ (ABIDA: 9) z.B. über personalisierte Anwendung von Nudges im Recht (ABIDA: 14). Im Verhältnis zur Massivität der geschilderten Gefahren für demokratische Prozesse fallen die im Gutachten bezeichneten Gegenmittel jedoch eigentümlich blass aus: so sollen z.B. ein „Nudge-Register“ und ein „Nudge-Sachverständigenrat“ helfen, die geschilderten Gefahren auszuschalten. Unterschiede zwischen kommerzieller Werbung, Propaganda und Nudging sind nicht immer leicht zu markieren, alle drei Varianten strategischer Kommunikation können ineinander übergehen und arbeiten mit ähnlichen Mitteln und Techniken, vor allem Vereinfachung, Wiederholung, Emotionalisierung. Die Grundeinstellung des libertären oder sanften Paternalismus unterscheidet Nudging, im Verständnis der ,Erfinder‘ des Konzeptes zumindest, von den beiden anderen Kommunikationsformaten.

Dass alle Regulierungspraktiken und Regierungskonzepte auf Annahmen darüber beruhen, wie Menschen sich in bestimmten Situationen entscheiden und wie man diese Entscheidungen beeinflussen kann, soll und darf, ist anerkannt. Umstritten ist, welche der eingesetzten Methoden und Praktiken den Anforderungen demokratischer Teilhabe und Transparenz genügen. Vor allem die mittlerweile mögliche Kombination von Nudging mit den an Umfang und Eingriffstiefe wachsenden digitalen Technologien ermöglicht immer mehr staatliche wie private Steuerungsaktivitäten, die nicht mehr ohne weiteres als solche identifiziert werden können. Zum Beispiel ermitteln Algorithmen inzwischen individuelle Präferenz-Profile von Nutzern (über produktbezogene Konsumgewohnheiten oder die Verweildauer auf bestimmten Internet-Seiten) und beeinflussen damit Entscheidungen (andere Nutzer kauften auch…/interessierten sich auch für…/ wählten auch…). Die handlungsstrukturierenden Effekte von informationstechnischen Systemen (die somit selbst als Nudges wirken) verschwinden dabei oft hinter vordergründig nützlichen Effekten: GPS erleichtert einerseits die Orientierung in geografischen Räumen, andererseits ermöglicht es die lückenlose Überwachung einzelner Personen oder Gruppen, zu welchen Zwecken auch immer. Wenn Steuerung jedoch nicht mehr erkannt wird, kann sie auch nicht mehr kritisiert oder abgelehnt werden. Es besteht also eine grundsätzliche Asymmetrie. Das Haupt-Argument der Befürworter des Nudging, die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen bleibe auf jeden Fall gewahrt, ist damit gegenstandslos.

„Gewiß, wir tun nicht immer, was wir wollen, und wollen nicht immer, was gut für uns wäre, aber vielleicht macht gerade das unsere Freiheit aus.“ (Bröckling 2017: 196)

Beispiele

(1) Nudging bedient sich un(ter)bewusster Bedürfnisse, Ängste und Impulse. Als eine der darauf beruhenden ,Verhaltensanomalien‘ wird die (kurzfristige) Verlustaversion genutzt, etwa wenn in einem Internet-Reiseportal eine – nicht überprüfbare – geringe Anzahl von ,Restplätzen‘ angezeigt wird, die eine umgehende Buchung erfordere.

(2) Nudging verwendet Daten, die nicht ausdrücklich freigegeben wurden und Programme, deren Urheber und Intentionen nicht transparent sind, z.B. bei der personalisierten Verhaltensbeeinflussung im elektronischen Handel, für Kauf- oder Wahlentscheidungen. Die scheinbar zwanglosen, aber schon personalisierten Nudges andere Kunden kauften auch…, andere Leser interessierten sich auch für…, andere wählten auch… auf entsprechenden Websites, beruhen in der Regel schon auf Profilen, deren Datengrundlage die Nutzer nicht oder kaum mehr mitgestalten konnten. Ebenso wenig transparent sind die Programme/Algorithmen, die für das Design der Schubser verwendet wurden: Es könnten die Anschläge auf der Tastatur sein oder das Suchverhalten, das sich in der Benutzung des Browsers widerspiegelt.

(3) Nudging erzeugt oder verstärkt sachzwangähnliche Situationen: Aktuell (Juni 2020) lässt sich die Kampagne zur Nutzung der sogenannten ,Corona-App‘ unter dieser Perspektive sehen. Die Frage der Transparenz scheint in diesem Fall zwar vordergründig befriedigend gelöst, die ,Zwanglosigkeit‘ steht jedoch sehr in Frage: Die App funktioniert nur dann, wenn eine bestimmte, sehr große Anzahl von Nutzern sie bestimmungsgemäß einsetzt, jede(r) Nicht-Teilnehmer*in kann somit als ,Verhinderer‘ im Rahmen der Bekämpfung des Virus stigmatisiert werden.

Literatur

  • ABIDA, Nudging (2018): Regulierung durch Big Data und Verhaltenswissenschaften, Berlin: ssoar.
  • Bröckling, Ulrich (2017): Gute Hirten führen sanft. Über Menschenregierungskünste. Berlin: Suhrkamp.
  • Hertwig, Ralph, Herzog, Stefan M. (2019): Kompetenzen mit „Boosts“ stärken. Online unter: https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/66450, Zugriff: 25.02.2023.
  • Drerup, J.ohannes; Dessauer, Aaron V. (2016): Libertärer Paternalismus. Entscheidungsarchitekturen in Theorie und Praxis. In: Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP), Heft. 1, Jg. 1, S. 339–632.
  • Kahnemann, Daniel; Tversky, Amos (1974): Judgment under Uncertainity: Heuristics and Biases. In: Science, Heft 4157, Jg. 185, S. 1124–1131.
  • Nudging for Good (2023): Website. Online unter: www.nudgingforgood.com ; Zugriff: 25.02.2023.
  • Sunstein, Cass R.; Thaler, Richard A. (2009): Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Berlin: Ullstein.
  • Sunstein, Cass R. (2014): Nudging. A very short Guide. In: Journal of Consumer Policy, Heft 4, Jg. 37, S. 583–588.

Zitiervorschlag

Weber, Susanna (2020): Nudging. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 11.07.2020. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/Nudging/.

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.