DiskursGlossar

Freund- und Feind-Begriffe

Kategorie: Grundbegriffe
Verwandte Ausdrücke: Freund-Feind-Schemata, Schwarz-Weiß-Malerei, Binärer Reduktionismus, Binäre Reduktion, Dichotome Reduktion
Siehe auch: Schlagwörter, Politische Kommunikation
Autor: Friedemann Vogel
Version: 1.1 / Datum: 05.12.2022

Kurzzusammenfassung

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren. Möglich wird das, indem Diskursbeteiligte über ein gemeinsames stereotypes Wissen über das sprachliche, visuelle usw. Repertoire von sozialen bzw. politischen Gruppen verfügen und versuchen, dieses Wissen für ihre strategischen Ziele zu instrumentalisieren. Vor allem Schlagwörter (Fahnen- und Stigmavokabeln, Hochwert- und Unwertvokabeln, Ideologievokabular u.ä.) oder Symbole (z.B. Parteifarben, Wappen) und Gesten (z.B. Hitlergruß), aber auch sozialsymbolische Zeigewörter (links, rechts, die da oben) oder die Verwendung von Personalpronomina (wir versus sie) konstruieren die Grenzen zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe, machen sie identifizierbar und markieren in unterschiedlichem Grad deren Programmatik. Der Kampf um die Bedeutung dieser und ähnlicher Ausdrücke spiegelt den Kampf um die Legitimation von politischen Positionen und deren öffentlichen Sichtbarkeit wider.

In funktionierenden liberalen ,Demokratien‘ ist die Diskursposition der Feindschaft tabuisiert bzw. im Konzept der politischen Gegnerschaft eingehegt: Ein politischer Gegner soll überstimmt, in seiner kommunikativen Reichweite oder auch in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt werden, er soll aber nicht vernichtet werden. In ,autokratisch‘ beherrschten Gesellschaften oder auch in krisenhaften Diskurskonstellationen, allen voran im Kriegsfall, wird mit der sprachlichen Markierung einer Person oder Gruppe als ‚Feind‘ deren Existenzrecht abgesprochen (insb. durch Aberkennung menschlicher Eigenschaften als Kakerlake, Abschaum, Unmensch o.ä.). Die erfolgreiche Etablierung einer Personengruppe als ‚Feind‘ oder ‚feindesähnlich‘ im öffentlichen Diskurs liefert diese Gruppe bewusst oder fahrlässig der Gefahr aus, Ziel tätlicher und tödlicher Angriffe zu werden.

Erweiterte Begriffsklärung

Jeder kommunikative Akt, jede sprachliche Äußerung ist nicht nur Ausdruck einer sozialen Handlungsabsicht – zum Beispiel der Absicht, jemanden über etwas zu informieren oder zu etwas aufzufordern –, sondern auch ein Beitrag zur Konstruktion von Zugehörigkeit und sozialer Ordnung (vgl. Feilke 1996). Der Gebrauch kommunikativer Zeichen wird intuitiv als Spur oder Indikator für bestimmte soziale Eigenschaften des Sprechers oder Schreibers verstanden: zum Beispiel die Verwendung von Dialekt als Indiz für lokale Herkunft, Bildungshintergrund (Dialekt versus ‚Bildungs‘-Hochsprache) oder Beziehungsstatus (Dialekt als Nähesignal). Zugleich sagt die Wahl bestimmter kommunikativer Zeichen und die damit einhergehende Abwahl von Alternativen etwas darüber aus, wie der Sprecher oder Schreiber seine Adressaten oder Dritte sozial einordnet: Zum Beispiel ist der Wechsel vom Duzen zum Siezen in der Schule oft ein Signal dafür, dass die Schülerinnen und Schüler nunmehr als Erwachsene verstanden sein sollen; und umgekehrt ist der gemeinsame Wechsel vom Sie zum Du im formellen Kontext oft ein Signal dafür, dass die Beteiligten die förmliche Distanz reduzieren (der einseitige Wechsel dagegen ein Signal, dass der Sprecher eine asymmetrische Beziehung, also ein Machtgefälle der Kommunikanten unterstellt).

In der soziolinguistischen und sprachsoziologischen Forschung werden die sprachlichen Ausdrücke, kommunikativen Zeichen und Handlungsmuster (Praktiken) untersucht, mit denen Menschen eine gemeinsame soziale Realität konstruieren, sich und anderen bestimmte Eigenschaften (Alter, sexuelle Orientierung, kulturelle Herkunft, Bildungsstand, Prestige, soziale Rolle etc.) und damit letztlich eine Position (z.B. als ‚sorgende Mutter‘, ‚Kunstkennerin‘ oder ‚Liebhaberin‘) im sozialen Raum zuschreiben (vgl. Lucius-Hoene und Deppermann 2004). Dabei sind die wahrnehmbaren Ausdrücke (Laute, Schriftzeichen, visuelle Zeichen) und ihre sozialsymbolische Bedeutung prinzipiell austauschbar (kontingent), basieren aber in Sprachgemeinschaften auf Konventionalisierungen. Vor allem für besonders häufige oder wichtige soziale Positionen in Kollektiven existieren aus Effizienzgründen „Sprachstereotype“ (Feilke 1989), also ein durch Sozialisierung, Medienkonsum und/oder Verrechtlichung verteiltes und im kollektiven Gedächtnis der Sprachgemeinschaft verankertes Wissen zur sprachlichen Identifizierung (z.B. die Ausdrücke Vater, Mutter, Kind, Onkel, Schwager usw. für die Beschreibung von Familienzugehörigkeit; Chef, Vorgesetzter, Vormund, Leiter, Direktor usw. für machthöherrangige soziale Positionen). Aus der Beobachtung solcher Sprachstereotype lassen sich die sozialen Ordnungsschemata rekonstruieren (z.B. das Konzept ‚Verwandtschaftsgrade‘), an denen sich die Menschen kommunikativ orientieren.

Auch Freund- und Feindkategorien zählen zu einem solchen kollektiven Sprach- und Sozialwissen und sind essenzieller Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren, also sichtbar und identifizierbar machen. Aus der Perspektive einer Interessensgruppe heraus betrachtet, gestaltet sich dieses diskursive Ordnungsfeld der politischen Kommunikation wie folgt:

Abb. 1.: Modell des diskursiven Feldes politischer Positionen
zwischen Eigen-, Gegner- und Feindgruppe

Das hier modellhaft skizzierte Feld setzt sich zusammen aus drei fließend ineinander übergehenden Teilfeldern zur Sortierung von politischen Akteuren als Mitglieder der Eigengruppe (‚Freund‘), als Mitglieder einer gegnerischen Fremdgruppe (‚Gegner‘) oder als ‚Feind‘. Mitglieder der politischen Eigengruppe (klassischerweise aufgerufen durch das exklusive Wir) besitzen aus Sicht dieser Eigengruppe volle Legitimität, sich an der (öffentlichen) politischen Debatte zu beteiligen und sich bzw. ihre gesellschaftlichen Gestaltungsvorstellungen im öffentlichen Diskurs sichtbar zu machen und durchzusetzen. Wer aus Sicht der Eigengruppe zu einer politischen Gegnergruppe gehört, dessen Legitimität zur Durchsetzung eigener Interessen und Ordnungsvorstellungen wird bestritten und mit Techniken der politischen Kommunikation bekämpft. Mit abnehmender sozialer und/oder politischer Nähe zur Eigengruppe schwindet der Grad an Legitimität der (verschiedenen) gegnerischen Diskurspositionen kontinuierlich bis hin zur Exkommunikation. Wer aus dem Kreise der legitimen Diskursteilnehmer als exkommuniziert gilt, ist Persona non grata und dessen Einstellungen, Äußerungen und politischen Programme stehen außerhalb der Sagbarkeits- und Möglichkeitsgrenzen: Sie dürfen weder geäußert noch im Falle ihrer Äußerung beachtet werden. Mehr noch: Wer gegen dieses Beachtungs- oder Objektivierungsverbot verstößt, dem droht selbst die Exkommunikation als legitimer Diskursakteur. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder“ (so ein bekanntes Lied von Franz Josef Degenhardt) – mit Diskursexkommunizierten spricht man nicht, denn ihre Deutungsrahmen sind überwiegend oder gänzlich inkompatibel (‚irrational‘ oder als ‚krank‘ pathologisiert) mit den etablierten Logik- und Plausibilitätsannahmen der Wir-Eigengruppe. Mit ,Schmuddelkindern‘ spricht man nicht, das hätte keinen Sinn; man spricht nur über sie, andernfalls droht Ansteckung. Diese Kontaminierungsgefahr gilt auch, allerdings in verschärfter Form für das diskursive Feind-Feld politischer Kommunikation: Wer aus Sicht der Eigengruppe als ‚Feind‘ gilt, der steht nicht nur außerhalb des diskursiv-legitimen Feldes; er hat nicht nur keine Legitimität, am politischen Wettkampf teilzunehmen (wie der exkommunizierte Gegner), ihm wird auch jedes physisch-psychische Existenzrecht versagt.

„Die Abgrenzung zwischen Innen und Außen gibt es immer und wird laufend neu vollzogen. Erst wenn der Andere oder der Fremde zum Feind wird, öffnet sich jene blutige Bahn, die mit Sieg oder Niederlage, mit Triumph oder Vernichtung ihr Ende findet, besser gesagt ihr jeweils vorläufiges Ende gefunden hat“ (Koselleck 2006: 275; vgl. auch grundlegend zu „asymmetrischen Gegenbegriffen“: Koselleck 1979 [1975]: 211–259).

Während durch eine Exkommunikation bedrohte Diskursakteure prinzipiell wieder diskurssemantisch ‚dekontaminiert‘ und als legitime Akteure rehabilitiert (‚geheilt‘, ‚zur Vernunft gebracht‘) werden können, gilt dies für den Feind gerade nicht. Zu ihm gibt es keine semantische Brücke, nur situative Hindernisse, seine avisierte Vernichtung sofort zu vollziehen.

Die Ausdehnung der diskurssemantischen Teilfelder (Freund-, Gegner-, kontaminiertes Gegner- und Feindfeld) wird geprägt von den historischen Umgebungsbedingungen (z.B. Kriegs- vs. Friedenszeiten), der politischen Grundverfassung (z.B. ,Demokratie‘ vs. ,Autokratie‘) sowie der Gruppenideologie: An liberaler, humanistischer ,Demokratie‘ orientierte Gruppen verneinen in Friedenszeiten meist die Möglichkeit einer Feindpositionierung gegnerischer Gruppen, expandieren in Krisenzeiten aber das Feld drohender Exkommunikation (sie verengen dann den Sagbarkeitsraum). In verfassten ,Demokratien‘ soll das geltende Recht (insb. Verfassungs- und Völkerrecht) grundsätzlich alle Rechtsunterworfenen davor schützen, außerhalb des legitimen Diskursraumes verortet und ausgegrenzt zu werden. Das Bundesverfassungsgericht bringt dies – in Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus – durch eine Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes interpretierende – „Objektformel“ zum Ausdruck: So solle durch den Schutz der Menschenwürde verhindert werden,

„dass [ein Mensch] durch den Staat oder durch seine Mitbürger als bloßes Objekt, das unter vollständiger Verfügung eines anderen Menschen steht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird“ (Stark 2005).

Das verbietet explizit (oder erschwert zumindest) auch die politisch-öffentliche Markierung von Fremdgruppen als Feind-Gruppen im oben genannten Sinne; schon die öffentliche Ächtung von Personen oder Kollektiven als Exkommunizierte ist rechtlich betrachtet zumindest riskant und steht unter Sanktionsandrohung (Beleidigung/Üble Nachrede, Volksverhetzung u.a.). Aus Sicht des Verfassungsrechts bildet der Freiheitsentzug (Inhaftierung) die Grenze legitimer Fremdgruppen-Verortung. In ,diktatorischen‘ Regimen und/oder in (Bürger-)Kriegszeiten schwindet dagegen meist der Raum möglicher legitimer Gegnerschaft und wird bipolar reduziert allein auf ‚Freund‘ und ‚Feind‘ (Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – „Es gibt nur noch schwarz und weiß, keinerlei Zwischentöne mehr“, vgl. Berliner Gazette 2022). Orientieren sich Interessensgruppen in ,liberalen‘ Gesellschaften zu Friedenszeiten eher am Modell der ,Gleichgewichtswaage‘ (attraktive Mitte, Meidung von Rändern), dominiert in Krisenzeiten eher das Modell des ,symbolischen Bürgerkriegs‘: Die Mitte leert sich, die Gruppen positionieren sich polarisierend an den Rändern.

Wichtig für das Verständnis des hier skizzierten Feldmodells ist, dass es nicht außerhalb oder gleichsam über den diskursiven Verhältnissen steht. Es erhebt vielmehr den Anspruch, dasjenige in schematisierter Form abzubilden, was durch die politischen Diskursakteure und ihre musterhafte Kommunikationspraxis als soziale Ordnung reproduziert wird und sich als solche beobachten und beschreiben lässt. Was sind also die sprachlichen Muster (politischen Ordnungsvokabeln) und kommunikativen Praktiken (Handlungstypen), mit denen Diskursakteure diese abstrakte soziale Ordnung aufrufen und Positionen von Eigen- oder Fremdgruppe identifizieren?

Schaubild2
Abb. 2.: Sprachliche Gebrauchsmuster als Zeiger für verschiedene Positionen
auf dem diskursiven Freund-Gegner-Feind-Feld

(1) Zu unterscheiden ist zunächst, ob und inwiefern Interessensgruppen nur den Grad an diskursiver Legitimität (horizontale Skala im Schaubild) und/oder darüber hinaus auch politische Programmatik (vertikale Skala) sprachlich zum Ausdruck bringen. Letzteres ist in der politischen Kommunikation zwar oft, aber nicht immer der Fall: Vor allem Ausdrücke, die auf Diskurspositionen im Kontaminationsfeld verweisen, vermeiden das Aktivieren (und damit auch ‚im-Gespräch-Halten‘) der gegnerischen Leitideen oder Argumente, schreiben eher pauschal abwertende, auch dehumanisierende Eigenschaften zu (Deklassierungs- und Diffamierungsvokabular, Kontaminations- und Pathologisierungsvokabeln, Feindvokabeln) oder sie thematisieren schlicht den diskursiven Ausschlussort (Unwertvokabeln).

(2) Eine wichtige Rolle als politisch-kommunikative ‚Positionszeiger‘ für Eigen- und Fremdgruppe spielen Schlagwörter und Slogans, die in der Politolinguistik seit langer Zeit untersucht werden (vgl. Hermanns 1994, 2007 und Burkhardt 2003). Sie fungieren als „Vehikel – oder Chiffren – von Gedanken“ (Hermanns 1994: 12) und aktivieren, solange sie im kulturellen Gedächtnis einer Sprachgemeinschaft präsent sind, bei Diskursrezipienten ohne nähere Kontextinformationen ein komplexes Wissen über soziale Gruppen.

(2.1) Fahnenvokabeln sind kommunikative Einheiten, die in ihrem Gebrauch Schibboleth-gleich das politische Programm der Eigengruppe in verdichteter, affektiv-besetzter und sich selbstlegitimierender Form aufrufen und im öffentlichen Diskurs sichtbar machen. Fahnenvokabeln (Wörter, Phrasen, auch Bilder/Symbole usw.) haben eine propagierend-appellative Funktion nach außen (sie werben um Anschluss), und ‚wirken‘ als disziplinierend-solidarisierend nach innen (sie bieten Identifikationsmöglichkeiten). Prototypische Beispiele: Demokratischer Sozialismus der SPD; Internationale Solidarität der Arbeiterbewegung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre; ökologisch und basisdemokratisch als Leitbegriffe der Grünen in ihrer Gründungszeit; Black Lives Matter als Slogan behördlich diskriminierter afroamerikanischer Bevölkerungsgruppen u.a.

(2.2) Programmvokabeln (im Sinne von Burkhardt 2003: 102) wie Solidarpakt, Aufbau Ost, Agenda 2010 usw. bilden eine Variante von Fahnenvokabeln und bezeichnen politische Handlungsprogramme kürzerer oder mittlerer zeitlicher Reichweite. Für ihre Abbildung im obigen Schaubild müsste eine temporale dritte Dimension eingeführt werden.

(2.3) Stigmavokabeln sind das Pendant zu Fahnenvokabeln, insofern sie ein bereits in der Öffentlichkeit als bekannt vorausgesetztes, politisches Programm einer gegnerischen Gruppe identifizieren und als abzulehnende Diskursposition markieren. Indem Stigmavokabeln das gegnerische Programm aufrufen, sind sie zugleich eine Konzession an die Fremdgruppe und ihre Geltungsreichweite. Sie weisen die referierte Fremdgruppe als prinzipiell diskursfähig (relativ legitim) aus. Prototypische Beispiele: Altpartei zur negativen Bewertung der etablierten Parteien und ihrer Politik; Gutmensch zur Diskreditierung von Asyl-Befürwortern im Kontext der Flüchtlingsbewegung in den 2010er Jahren; Herdprämie als Stigma-Alternative der Kritiker zum CSU-Programmwort Betreuungsgeld (2013).

(2.4) Als Hochwertvokabeln gebrauchte Ausdrücke wie Freiheit, Demokratie, gerecht, Gleichheit, innovativ/nachhaltig, Transparenz benennen nur auf den ersten Blick „Grundwert[e]“ einer Gesellschaft (Hermanns 1994: 18). Aus einer Vogelperspektive betrachtet handelt es sich um Ausdrücke, die durch ihren vielfachen öffentlichen Gebrauch von verschiedenen (gegnerischen) Interessensgruppen ihre programmatische Bedeutung weitestgehend verloren haben. Sie dienen allein noch dazu, die sich äußernde Eigengruppe als Teil einer legitimen Mehrheitsgruppe im politischen Diskursfeld auszuflaggen. Auch semantisch im Wesentlichen auf Affirmation und konnotativen Wohlklang zielende Selbstqualifizierungen (Leistungsträger, Verantwortungsträger) gehören hierzu. Aus der jeweiligen Akteursperspektive verbinden die verschiedenen Gruppen ideologisch sehr Unterschiedliches mit Hochwertvokabeln, sie sind „ideologisch polysem“ (Dieckmann 1975: 70). So assoziieren Neoliberal-Konservative mit dem Hochwertwort Freiheit die ‚Reduktion staatlicher Marktregulierung‘, Linksliberale dagegen ‚Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür‘.

(2.5) Als Unwertvokabeln gebrauchte Wörter oder Phrasen bezeichnen diskursive ‚Un-Orte‘ am Rande möglicher Diskurslegitimation. Im Unterschied zu Stigmavokabeln assoziieren Unwertvokabeln keine gegnerische Programmatik, sondern sie klassifizieren in abwertender Weise eine Gegner- oder Feindgruppe als vom Diskurs und/oder Existenzrecht auszuschließen. Es lassen sich verschiedene Untergruppen von Unwertvokabeln beobachten:

(a) Deklassierungs- und Diffamierungsvokabeln sind Ausdrücke, mit denen die adressierte soziopolitische Fremdgruppe als soziales Wesen infantilisiert, pathologisiert, beleidigt oder anderweitig öffentlich herabgesetzt wird (z.B. durch Invektive, Scheltwörter; Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch; Demonstranten als Covidioten; creepy / sleepy Joe (Trump über Biden); Jude, Schwuler, Zigeuner in diffamierender Verwendung usw.). Hierzu gehört auch, Angehörige der Gegnergruppe pauschalisierend auf gesellschaftlich unerwünschte Funktionen zu reduzieren (z.B. eine Person sei nur Lobbyist oder Laufbursche von Putin) oder prädikativ in die Nähe krimineller Organisationen bringen. Deklassierungs- und Diffamierungsvokabeln sind in der politischen Kommunikation oft in ritualisierte und damit normalisierte Kampf-Inszenierungen eingebettet (z.B. in Talkshows, Parlamentsdebatten u.ä.). Das ist bei einer auf Exkommunikation oder gar Feind-Markierung zielenden Verwendung nicht mehr der Fall!

(b) Kontaminations- und denormalisierende Pathologisierungsvokabeln sind Ausdrücke bzw. Äußerungen dann, wenn mit ihnen die referierte Fremdgruppe als nicht-legitimer politischer Diskursakteur ausgeschlossen werden soll (z.B. die nicht-fachliche Verwendung des Ausdrucks Verschwörungstheoretiker, vgl. Vogel 2018; Knobloch 2018; andere Beispiele jüngerer Zeit: Sympathisant, Querfront, besorgte Bürger, Impfskeptiker, Esoteriker, Coronaleugner, Putin-Versteher; Troll in der internetbasierten Kommunikation). Sie dienen darum weniger der konfrontativen Auseinandersetzung mit der Fremdgruppe (und dort vertretenen handlungsleitenden Konzepten), sondern vielmehr zur Disziplinierung der Eigengruppe. Kontaminationsvokabeln behaupten häufig einen pathologischen (oder anderweitig ‚a-normalen‘) Kommunikations- oder Geisteszustand einer gegnerischen Gruppe, disqualifiziert (exkommuniziert) sie dadurch als ernstzunehmenden Diskurspartner und weist ihr soziopolitisches Umfeld als „gedankliches Sperrgebiet“ (vgl. Mausfeld 2018: 74 f.) aus. Wer sich aus der Eigengruppe diesem kontaminierten Gebiet nähert oder gar versucht, die kontaminierte Diskursposition in den legitimen Möglichkeitsraum zu verschieben (darüber sollte man schon mal nachdenken können), der setzt sich alsbald einer ,Ansteckung‘ und dem Verdacht aus, man vertrete möglicherweise selbst die kontaminierte Position. Der erfolgreiche Einsatz von Kontaminationsvokabeln schafft daher auch situativ eine latente Verdachtssemantik gegenüber allen (legitimen) Diskursagenten: eine falsche Diskurshandlung, und man riskiert den Ausschluss aus der Eigengruppe. Genau darin liegt das sozialdisziplinierende Moment.

Die Grenzen von Deklassierung, Diffamierung oder Kontamination sind fließend. Auch gibt es wohl entlang moralischer Wertehierarchien eine Eskalationstreppe der Abwertungen und Kontamination: so wiegen ritualisierte Kriminalisierungen (Wolfgang Schäuble als Gauner) oder Infantilisierungen (Piratenpartei sei politisch unreif) einer Fremdgruppe weniger schwer als ihre Pathologisierung (Zu Trump: Ist der US-Präsident psychisch krank?) oder Sexualisierungen, die etwa den latenten oder offenen Vorwurf des Kindesmissbrauchs implizieren (Pädophile bei den Grünen; Perversling; Kinderschänder usw.).

(c) Als Feindvokabeln dienen Ausdrücke und Äußerungen dann, wenn der damit aufgerufenen Fremdgruppe nicht nur die Diskursteilhabe, sondern jegliches physisch-psychische Existenzrecht abgesprochen und latent oder explizit zu ihrer Vernichtung aufgerufen wird. Dies gilt für alle Arten der im (latenten) Krieg nicht-ritualisiert gebrauchten dehumanisierenden Appellativa (Barbar, Monster, Bestie, Ungeziefer, Abschaum, Zecke usw.) oder explizite ‚Front‘/‚Kampf‘-assoziierende Bezeichnungen (Feind, Kollaborateur, Gotteskrieger). Die erfolgreiche Etablierung einer Personengruppe als ‚Feind‘ oder ‚feindesähnlich‘ im öffentlichen Diskurs liefert diese Gruppe bewusst oder fahrlässig der Gefahr aus, Ziel tätlicher und tödlicher Angriffe zu werden.

(3) Neben diesen Prototypen der kommunikativen Freund-Feind-Identifizierung gibt es im politischen Diskurs weitere musterhaft gebrauchte Ausdrücke, um die Eigengruppe und/oder verschiedene Gegnergruppen relativ zueinander auf dem soziopolitischen Diskursfeld zu verorten. Hierzu gehören etwa sozialsymbolische Zeigewörter (wie die da oben, wir da unten; links vs. rechts, linksaußen vs. rechtsaußen; auch: Mitte, Rand) und andere Gruppenbezeichnungen und Gruppenattribute wie Rebellen, Splittergruppe, Separatisten, Freischärler, Unabhängigkeitskämpfer, Protestbewegung, populistisch, extrem, radikal, fundamentalistisch, fanatisch, gemäßigt, moderat, militant, terroristisch, erz- und viele andere. Manche Attribute ermöglichen eine relative Positionierung divergenter Gruppen unabhängig von jeglicher Programmatik (etwa verfeindet, rivalisierend, verbündet); andere lexikalische Diskurspositionierer enthalten zumindest Spuren programmatischer Orientierung (säkular, nationalistisch, liberal, neoliberal, konservativ usw.).

Die oben skizzierten sprachlichen Feldpositions-Anzeiger stehen selten für sich alleine, sondern werden begleitet (und auch oft illustriert) mit visuellen Zeichen, Bildcollagen usw. Gerade visuelle Feindbilder folgen dabei Kollektivsymbolen, die die Fremdgruppe als ‚Bestie‘, ‚wahnhaft‘, ‚raffgierig‘, ‚schmutzig-vulgär‘ usw. zeichnen.

Für alle sprachlichen Positions-Anzeiger gilt außerdem, dass ihre Bedeutung sich über die Zeit wandeln und auch strategisch neu verortet (also der sprachliche Zeiger auf andere Feldpositionen verschoben) werden kann. Fahnenvokabeln können zum Beispiel zu Stigma- und Unwertvokabeln umgedeutet (sozialistisch, politisch korrekt) oder semantisch entleert werden (lexikalisches Diffundieren); umgekehrt können Diffamierungsvokabeln aufgewertet und affirmativ besetzt werden (Ich bin ein Radikaler!; schwul, Nigger u.ä.).

Historisch betrachtet gehen Reflexionen über Freund-Feind-Schemata auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Der vielzitierte und zugleich ob seines Engagements für die Nationalsozialisten des 3. Reichs umstrittene Staatsrechtler Carl Schmitt (1991 [1932]) betrachtete die Unterscheidung von ,Freund‘ und ,Feind‘ als wesentlichen, handlungsbestimmenden Kern aller (staatlichen) Politik. Mit diesem Ansatz, so spätere Kritik (vgl. Narr 2015: 36), wird das Politische stark verkürzt, denn er unterstellt eine Diskurskonstellation, die keine Graustufen, sondern apriori nur die bipolare Welt des (latenten) Krieges kennt. Der Grundmodus des Alltagspolitischen ist in Friedenszeiten aber gerade nicht der einer Freund-Feind-Konfrontation im gewaltsamen Kampf um Leben und Tod, sondern die politische Kommunikation in unterschiedlichsten Formen und Schattierungen, fähig sowohl zur Eskalation als auch zu Kompromiss und Interessensausgleich.

Beispiele

(1) Wenn sich politische Bewegungen oder Parteien öffentlich positionieren, reklamieren sie strategisch in aller Regel einen Vertretungsanspruch für einen Großteil der Bevölkerung. Symbolisch äußert sich das zum Beispiel in der Verwendung des inklusiven Wir (exemplarisch Angela Merkel 2015: Wir schaffen das!, eine Phrase, die auch zum Slogan wurde) und in der Verwendung von positiv bewerteten Kollektivbezeichnungen (Wir sind die Mehrheitsgesellschaft / – das Volk / – die Partei der Mitte). Zugleich versuchen rivalisierende Gruppen diesen ‚Mehrheits‘-Vertretungsanspruch zu relativieren, indem sie ihrerseits diesen Anspruch bekräftigen und die Gegnergruppen relativ zu sich als Rand, links, rechts und/oder auch – in ausgrenzender Absicht – als extremistisch, radikal, populistisch delegitimieren. Eine tatsächliche oder strategisch konstruierte Bedrohung – insb. im drohenden Kriegsfall – bildet dagegen häufig die Grundlage für eine gruppenübergreifende Reformierung und für Konsensappelle (Wir Europäer müssen jetzt enger zusammen stehen; XXL-Europagipfel in Prag: Gemeinsam gegen Putin; Nato-Verbündete zeigen Geschlossenheit gegen Putins Atom-Drohungen), die die Bearbeitung bestehender politischer Differenzen entweder unterdrückt und/oder auf später verschiebt.

(2) Mit dem Ausdruck Verschwörungstheorie werden in Fachkreisen meist unbelegte Verschwörungsbehauptungen bezeichnet. Im politisch-medialen Interdiskurs (vgl. Knobloch 2018), aber auch in der Wikipedia (vgl. Vogel 2018) fungiert der Ausdruck Verschwörungstheoretiker allerdings als Ausgrenzungs- und Kontaminationsvokabel. So bezeichnete Personen werden als disqualifizierte (weil ‚kognitive beeinträchtigte‘ oder ‚böswillig Propaganda betreibende‘) Diskurspartner markiert –, mit denen sich zu beschäftigen nicht nur keinen Sinn macht, sondern sogar in den Verdacht bringt, selbst Angehöriger ‚dieser‘ Fremdgruppe zu sein.

(3) Auch die Verwendung des Ausdrucks Troll in der internetbasierten Kommunikation (Foren, Chats) erfüllt die Funktion einer Unwert- bzw. Kontaminationsvokabel. Mit ihr werden oft Diskursakteure bezeichnet, die Unterhaltungen (vermeintlich bewusst) stören oder anderweitig als ‚unangepasst‘ wahrgenommen werden. Die erfolgreiche Qualifizierung eines Accounts als Troll-Account fordert von Mitgliedern der Eigengruppe nicht nur die Nicht-Beachtung seiner Aktivitäten, sondern legitimiert auch Sanktionen bis hin zum dauerhaften Ausschluss.

(4) Mit zunehmender Schärfe der öffentlichen Debatte um eine geschlechtergerechte Sprache (ab den späten 2010er Jahren) wurden die verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten zur Gender-Markierung (Generisches Maskulinum, Binnen-I, Gender-Sternchen usw.) zu Positionsmarkern auf dem politischen Diskursfeld. Wer auf die Verwendung des generischen Maskulinums beharrt, positioniert sich als ‚non-konformistisch‘, ‚sprachtraditionell‘ oder auch ‚wertkonservativ‘ gegenüber Gegnergruppen, die mit der Wahl etwa des Gender-Sternchens eine ‚empanzipatorisch-antipatriarchale‘ Position verbinden. Die hochmoralische Aufladung der Debatte lässt die gegnerischen Gruppen teils zu unversöhnlichen Diffamierungs- und Pathologisierungsvokabeln greifen. Dass SprecherInnen teilweise widersprüchliche Gender-Formen verwenden oder sich oft selbst korrigieren, zeugt von Unsicherheit als Folge latenter Kontaminierungsgefahr (z.B. irrtümlich als Mitglied der einen oder der anderen Gruppe zugeordnet zu werden).

(5) Wer im engsten Freundeskreis über Geflüchtete und nicht über Flüchtlinge (oder gar Asylanten) spricht, mag sich auf die identische Referenzgruppe beziehen (also auf Leute, die aus einem Kriegsgebiet kommend in Deutschland Obdach suchen); wichtiger ist dem/der SprecherIn aber, sich selbst und die Angesprochenen als Angehörige einer ‚linksliberalen‘, ‚bildungsbürgerlichen‘, ‚aufgeklärten‘, ‚sprachsensiblen‘ usw. Sozialgemeinschaft zu etablieren bzw. zu bestätigen.

(6) Die Geschichte der Kriege ist immer auch eine Geschichte der wiederkehrenden Feindbild-Konstruktionen, die den Gegner zunächst diffamiert, lächerlich macht, ihm krankhafte Eigenschaften unterstellt und schließlich sämtliche menschliche Qualität abspricht: Die nationalsozialistische Propaganda entwickelte umfangreiches Material, um Andersdenkende physiognomisch zu verspotten, ihnen Tugendhaftigkeit ab- und Böswilligkeit zuzusprechen (Juden als ‚raffgierig‘) und – als lebensunwerte oder zu Sklaverei verurteilte Un– oder Untermenschen qualifiziert – letztlich zu ermorden.

(7) Der materialreiche Essay von Clara Geddes (2018) schildert den Wandel der öffentlichen Figur ‚Saddam Husseins‘ durch strategische Kommunikation der amerikanischen Regierungs- propaganda. Wurde Saddam Hussein in den 1980er Jahren durch die Reagan-Regierung zunächst noch hofiert und seine Kriegsverbrechen gegen die iranische Bevölkerung relativiert (weil der Krieg im Interesse amerikanischer Außenpolitik lag), wurde das öffentliche Bild Husseins mit dem Angriff auf Kuweit Anfang der 1990er Jahre geprägt mit dämonisierenden Zuschreibungen als Monster, Bestie, Verrückter, Hitler. Zur Legitimierung der amerikanischen Invasion in den Irak 2003 seien durch die Bush-Administration Beziehungen zwischen Hussein und Al-Qaida bzw. Bin Laden konstruiert und von der Presse mehrheitlich ungeprüft übernommen worden. Wer als JournalistIn die offizielle Feindkonstruktion infrage stellte, riskierte zwischenzeitlich seine berufliche Karriere.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Koselleck, Reinhart (2006): Feindbegriffe. In: Ders. (Hrsg.): Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 274–284.
  • Koselleck, Reinhart (1979 [1975]): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Zitierte Literatur

  • Berliner Gazette (2022): Ukraine-Krieg: Für Anti-Eskalations-Strategien und gegen die Einschränkung des öffentlich Sagbaren. Online unter: https://berlinergazette.de/fuer-anti-eskalations-strategien-und-gegen-die-einschraenkung-des-oeffentlich-sagbaren/ ; Zugriff: 25.10.2022.
  • Burkhardt, Armin (2003): Deutsche Sprachgeschichte und politische Geschichte. In: Besch, Werner (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Berlin; New York: de Gruyter, S. 98–122.
  • Dieckmann, Walther (1975): Sprache in der Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. Heidelberg: Winter.
  • Feilke, Helmuth (1989): Funktionen verbaler Stereotype für die alltagssprachliche Wissensorganisation. In: Knobloch, Clemens (Hrsg.): Kognition und Kommunikation. Beiträge zur Psychologie der Zeichenverwendung. Münster: Nodus-Publ., S. 71–84.
  • Feilke, Helmuth (1996): Sprache als soziale Gestalt. Ausdruck, Prägung und die Ordnung der sprachlichen Typik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Geddes, Clara (2018): Shaping Saddam: How the Media Mythologized A Monster. In: The Yale Review of International Studies. Online unter: http://yris.yira.org/acheson-prize/2473 ; Zugriff: 09.10.2020.
  • Hermanns, Fritz (1994): Schlüssel-, Schlag- und Fahnenwörter. Zu Begrifflichkeit und Theorie der lexikalischen „politischen Semantik“. Mannheim: Institut für deutsche Sprache.
  • Hermanns, Fritz (2007): Slogans und Schlagwörter. In: Bär, Jochen A.; Roelcke, Thorsten; Steinhauer, Anja (Hrsg.): Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. Berlin: de Gruyter, S. 459–478.
  • Knobloch, Clemens (2018): Wer hat Angst vor „Verschwörungstheorie“? In: Philosophische Gespräche (Hrsg. von Helle Panke e.V.), Heft 49, S. 5–26.
  • Koselleck, Reinhart ([1975] 1979): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Koselleck, Reinhart (2006): Feindbegriffe. In: Ders. (Hrsg.): Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 274–284.
  • Lucius-Hoene, Gabriele; Deppermann, Arnulf (2004): Narrative Identität und Positionierung. In: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, Heft 5, S. 166–183. Online unter: http://www.gespraechsforschung-online.de/fileadmin/dateien/heft2004/ga-lucius.pdf ; Zugriff: 16.06.2017.
  • Mausfeld, Rainer (2018): Warum schweigen die Lämmer? Wie sich die Herde durch Meinungsmanipulation steuern lässt. Frankfurt: Westend.
  • Narr, Wolf-Dieter (2015): Niemands-Herrschaft. Eine Einführung in Schwierigkeiten, Herrschaft zu begreifen. Hamburg: VSA.
  • Schmitt, Carl ([1932] 1991): Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. 3. Aufl. der Ausg. von 1963. Berlin: Duncker und Humblot.
  • Stark, Christian (2005): Artikel 1: Münchner Grundgesetz-Kommentar, Rn. 17.
  • Vogel, Friedemann (2018): Jenseits des Sagbaren – Zum stigmatisierenden und ausgrenzenden Gebrauch des Ausdrucks Verschwörungstheorie in der deutschsprachigen Wikipedia. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, Heft 3, Jg. 14, S. 259–288.

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1.: Sprachliche Gebrauchsmuster als Zeiger für verschiedene Positionen auf dem diskursiven Freund-Gegner-Feind-Feld (eigene Darstellung).
  • Abb. 2.: Modell des diskursiven Feldes politischer Positionen zwischen Eigen-, Gegner- und Feindgruppe (eigene Darstellung).

Zitiervorschlag

Vogel, Friedemann (2022): Freund- und Feind-Begriffe. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 05.12.2022. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/freund-und-feind-begriffe.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Sagbarkeit

Im öffentlichen Diskurs findet sich häufig die strategische Behauptung, dass bestimmte Fakten oder Meinungen unsagbar seien. Auf diese Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass es Grenzen des Sagbaren gebe, die im öffentlichen Diskurs Geltung hätten.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Wahlkampf

Wahlkämpfe sind Zeiten stark intensivierter politischer Kommunikation. Politische Parteien entwickeln Programme für die nächste Legislaturperiode in der Hoffnung, durch entsprechenden Stimmengewinn zu deren Umsetzung ermächtigt zu werden.

Schlagwörter

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Geschlechtergerechte Sprache

Mit dem heute als Fahnenwort gebrauchten Ausdruck geschlechtergerechte Sprache ist die Forderung verbunden, bei Personenbezeichnungen die einseitige, für diskriminierend erklärte Bezugnahme auf einen bestimmten Sexus, konkret: auf das männliche Geschlecht, zu unterlassen.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…