DiskursGlossar

Finanz-Topos

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke
Siehe auch: Ökonomisierung, Topos, Autoritäts-Topos, Analogie-Topos, Topos der düsteren Zukunftsprognose
Autor: Denis Gerner
Version: 1.0 / Datum: 13.10.2025

Kurzzusammenfassung

Mit dem Finanz-Topos werden im Diskurs Argumente gebildet, mit denen Akteure bestimmte Maßnahmen als finanziell sinnvoll befürworten oder als unrentabel zurückzuweisen. Aus politolinguistischer Perspektive lässt sich dieses Argumentationsmuster wie folgt umschreiben:

Weil etwas viel Geld kostet, empfehlen sich Handlungen, durch die sich das investierte Geld rentiert oder es sollten Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern. Und umgekehrt gilt: Weil etwas wenig Geld kostet, brauchen keine Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern (vgl. Wengeler 2003: 306).

Der Finanz-Topos findet sich nicht nur im Wirtschaftsdiskurs. Vielmehr findet er sich grundsätzlich als Muster überall dort, wo mit Kosten der Wirtschaftlichkeit oder mit (erwarteten) Profiten argumentiert wird. Der Topos wird regelmäßig diskursstrategisch eingesetzt: Dabei werden finanzielle Belastungen für bestimmte Gruppen als direkte und unzumutbare Folge der zur Diskussion stehenden Maßnahmen konstruiert, um so den Handlungsdruck zugunsten der eigenen Handlungsvorstellungen zu erhöhen. Andere Spät- oder Folgekosten werden oft (bewusst) ausgeblendet. Die Omnipräsenz des Topos und sein Vorkommen in praktisch allen Lebensbereichen kann als Hinweis für die zunehmende Ökonomisierung neoliberaler Gesellschaften gewertet werden.

Erweiterte Begriffsklärung

In neoliberalen Gesellschaften ist der Topos ein allgegenwärtiges Argumentationsmuster, welches sich in vielfältigen Variationen wiederfindet und zugleich Diskurse inhaltlich-hegemonial formt und strukturiert. Das heißt, dem Finanz-Topos wird von den verschiedensten Diskursakteuren (implizit) oft eine besonders hohe Relevanz und ein gewisser Vorrang gegenüber anderen (womöglich ebenso relevanten) Punkten und Argumenten beigemessen, was sich schon in der Häufigkeit des Topos andeutet. Diskursanalytisch wird das beispielsweise dann greifbar, wenn Fragen nach der Ausgestaltung des sozialen Lebens oder der Nachhaltigkeit bestimmter Maßnahmen sich den Fragen nach Kosten unterordnen (vgl. Gerner 2025). Der Finanz-Topos fungiert so regelmäßig als scheinbar notwendige und unhintergehbare Prämisse weiterer Aushandlungsprozesse. Oder dies geschieht implizit – d. h. Folgediskussionen setzen eine bestimmte Bewertung der Kosten bereits voraus. Der Finanz-Topos fungiert damit nicht nur als ,Schablone‘, um ökonomisch motivierte Argumentationen zu bilden, sondern sein Gebrauch verrät auch ein zugrundeliegendes Deutungsmuster neoliberaler, insbesondere westlicher Kulturen, die gesellschaftliche Fragestellungen vor allem vor dem Hintergrund ihrer ökonomischen Auswirkungen interpretieren.

Für den Finanz-Topos und seine Variationen finden sich zahlreiche musterhafte sprachlich-kommunikative Realisierungsformen: Hierzu zählen Schlagwörter und -phrasen, die eine ,Indikatorfunktion‘ (vgl. hierzu Römer 2018: 130) für den Topos einnehmen. Hinter zahlreichen Schlagphrasen werden ganze Argumentationen gebündelt und mit Deutungsmustern verknüpft: Im neoliberalen Deutungsmuster etwa wird in der feststehenden Phrase der Markt regelt das zugleich auch der Finanz-Topos aktiviert, wodurch staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als nachteilig perspektiviert werden. Aber auch in dem politischen Slogan Leistung muss sich wieder lohnen wird der Finanz-Topos in doppelter Hinsicht aktiv. Zum einen wird das Deutungsmuster einer Leistungsgesellschaft zugrunde gelegt, zum anderen wird die finanzielle Entlohnung als Maßstab für die erbrachte Leistung (=Arbeitszeit) angesetzt. 

Der Finanz-Topos geht auch mit einer hohen Dichte an Kollektivsymboliken einher. In Wirtschaftsdiskursen etwa werden mit diesen Kollektivsymboliken komplexe Vorgänge gesellschaftlich deutbar gemacht (vgl. Knobloch 2022): Die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf, kommt in die Gänge, der Kurs stürzt ein. Im energiepolitischen Diskurs findet sich beispielsweise regelmäßig die kollektivsymbolisch aufgeladene Schlagphrase Sonne und Wind schicken keine Rechnung. Um diese Schlagphrase drehen sich auch ganze Deutungskämpfe, in denen der Aussage widersprochen wird und mit der häufig auch eine bestimmte Gegnergruppe assoziiert werden soll (vgl. hierzu Gerner 2025). Typische Schlagwörter mit Indikatorfunktion für den Finanz-Topos sind ferner: Wirtschaftsstandort, Investitionen, Wirtschaftlichkeit, Sozialausgaben, Wachstum. Aber auch Hochwertvokabeln wie Mittelstand, Zukunftstechnologien und Innovation wirken wie verdichtete Argumente und realisieren den Finanz-Topos. Negativ konnotierte Schlagworte wie Deindustrialisierung oder Standortschwächung aktivieren regelmäßig ebenfalls den Topos der düsteren Zukunftsprognose über den Finanz-Topos.

Fachdiskurse beispielsweise zum Staatshaushalt und damit verbundenen Milliarden-Ausgaben sind für Nicht-Expertinnen und -Experten sehr abstrakt und kaum interpretierbar. Verschiedene politische und Wirtschafts-Akteure nutzen diesen Umstand kommunikationsstrategisch, um beispielsweise staatliche Finanzierungsfragen mit Mehrkosten in Verbindung zu setzen, die dann als Belastung für bestimmte Gruppen behauptet werden. Der Topos wird damit regelmäßig so realisiert, dass wenn die geforderten Maßnahmen nicht schnell ergriffen werden, eine unerwünschte Belastung von bestimmten sozialen Gruppen eine unvermeidliche Folge wäre. So diskutiert auch Wengeler bereits 2003 die enge Verwandtschaft des Finanz-Topos zum Belastungs-Topos (vgl. Wengeler 2003: 303).

Grundsätzlich ist eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlichen Kosten und sozialen Belastungen naheliegend. Manipulativ-strategisch wird der Finanz-Topos von Akteuren dann realisiert, wenn bei bestimmten Gruppen aufgrund behaupteter Belastungen proaktiv Zukunftsängste erzeugt werden sollen, um den Handlungsdruck zugunsten der eigenen Maßnahmen weiter zu erhöhen. Regelmäßig findet sich auch eine Sachzwang-Rhetorik (Daran führt kein Weg vorbei) und eine intensivierte zeitliche Dringlichkeit (Jetzt müssen wir schnell handeln). Subtiler können sich strategische Bemühungen gestalten, die beispielsweise durch geschicktes Framing oder Agenda Setting versteckte, indirekte oder gesellschaftliche Folgekosten verschleiern (wie Umweltverschmutzung, sinkendes Bildungsniveau, Kosten für Rückabwicklungen/Rückbau usw.).

Hieraus lassen sich auch einige Gegenstrategien ableiten: Realisierungen des Finanz-Topos werden in Diskursen mitunter so gestaltet, dass sie eine vermeintliche Alternativlosigkeit der dargestellten Folgerungen – etwa hinsichtlich der Belastung oder Akzeptanz – nahelegen. In diesem Zusammenhang kann geprüft werden, inwiefern Merkmale einer als ,pseudo-naturgesetzlich‘ erscheinenden Notwendigkeit zu erkennen sind (vgl. Römer 2017: 68). Der ,verengte‘ Diskursraum kann dann auch dadurch wieder geöffnet werden, indem alternative Perspektiven und Handlungsoptionen eingebracht werden. Das kann beispielsweise bedeuten, zu prüfen, welche Aspekte in den ,Rechnungen‘ nicht berücksichtigt werden oder wovon abgelenkt werden soll, gerade mit Blick auf versteckte oder langfristige auch nicht-monetäre (Folge-)Kosten.

Beispiele

(1) Mit Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 wurde der Finanz-Topos von Selenskyj in der Ansprache an den Deutschen Bundestag reflektiert:

[…] Als wir Ihnen sagten, dass die Nord Stream-Leitungen Waffen sind und der Vorbereitung auf einen großen Krieg dienen, hörten wir die Antwort: „Es geht hier aber um die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“. Doch das war der Zement für eine neue Mauer. […] Als wir um präventive Sanktionen baten, wandten wir uns an Europa, wandten wir uns an viele Staaten, wandten wir uns an Sie. Sanktionen, die so ausgestaltet sind, dass der Aggressor spürt, dass Sie eine Kraft darstellen. Und wir sahen ein Hinauszögern. Wir verspürten einen Widerstand. Wir haben verstanden, dass Sie die „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ fortführen wollen. (Deutscher Bundestag 2022)

Dabei wird kritisiert, dass Fragen nach politischen Handlungsoptionen gegen Russland vor allem hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet und (nicht-)ergriffen werden, statt wie vom ukrainischen Präsidenten gefordert nach Maßstäben außerhalb ökonomischer Vor- oder Nachteile.

(2) Zu Zeiten der Ampel-Koalition und anschließend zu Zeiten intensivierter Wahlkampfbemühungen war und ist das stagnierende Wirtschaftswachstum und die Prognose für 2025 ein diskursiv stark umkämpftes Thema. Im folgenden Beleg werden durch die Berliner Morgenpost die wirtschaftliche Situation als Krise eingeführt und anschließend die Maßnahmen der großen Parteien im Artikel skizziert:

Die SPD will die deutsche Wirtschaft durch Investitionen in Zukunftstechnologien und sozial gerechte Maßnahmen wieder auf Kurs bringen. Ein zentrales Instrument ist der Deutschlandfonds, der mit bis zu 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll, um Innovationen in Bereichen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Infrastruktur zu fördern. Der Fonds soll sowohl öffentliche als auch private Mittel mobilisieren und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen. (Morgenpost 2025)

Der Finanz-Topos realisiert sich hier in der Annahme oder Behauptung, die Investitionen lohnten sich für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Was sich unter den Hochwertvokabeln Zukunftstechnologien und sozial gerecht verbirgt, bleibt im Artikel unbeantwortet, ebenso wenig wird dargelegt, wie und von wem dieser Deutschlandfonds finanziert wird und warum es genau 100 Milliarden sind – nicht mehr oder weniger. Mit Fonds wird eine beschönigende Bezeichnung für einen Kredit bzw. Schulden gewählt. Für Nicht-Experten ist kaum zu durchschauen und zu prüfen, inwiefern die geforderten Maßnahmen tatsächlich realisierbar sind und die versprochenen Effekte wirken würden. 

(3) Die Hürden zur Beteiligung an Wirtschaftsdiskursen sind regelmäßig sehr hoch und erfordern von den Diskursbeteiligten Wissen über volkswirtschaftliche und rechtliche Zusammenhänge. Gerade von Nachrichtenportalen und Zeitungen werden deshalb auch gerne Wirtschafts-Expertinnen und -Experten (siehe Autoritäts-Topos) interviewt und zitiert, deren Expertise durch die Herausstellung ihrer akademischen Titel und/oder Positionen innerhalb großer Institutionen oder Unternehmen hervorgehoben wird:

Wirtschaftsweise halbieren Wachstumsprognose

„In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft“, sagte SVR-Vorsitzende Schnitzer. Umso wichtiger sei es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben.“ Dafür schlägt der Rat in seinem Jahresgutachten verschiedene Maßnahmen vor. So sollte der Staat etwa zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben priorisieren. Die Versäumnisse zeigten sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintrete. (Tagesschau 2024)

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft (kurz SVR), auch die Wirtschaftsweisen genannt, haben hier durch ihre beratende Funktion der Bundesregierung auch eine diskurssteuernde Funktion. Als institutionell ausgewiesene ,Wissens-Autoritäten‘ referieren daher regelmäßig Finanz-Topoi in Form des Experten-Topos auf sie.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Römer, David (2017): Wirtschaftskrisen: Eine linguistische Diskursgeschichte. Berlin, Boston: De Gruyter. (Siehe dort insbesondere: Topos der Marktwirtschaft, Topos vom Marktversagen, Investitions-Topos, Rentabilitäts-Topos)

Zitierte Literatur

    Zitiervorschlag

    Gerner, Denis (2025): Finanz-Topos. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.10.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/finanz-topos/.

    DiskursGlossar

    Grundbegriffe

    Deutungsmuster

    Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

    Sinnformel

    ‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

    Praktik

    Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

    Kontextualisieren

    Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

    Narrativ

    Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

    Argumentation

    Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

    Hegemonie

    Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

    Diskurskompetenz

    Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

    Agenda Setting

    Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

    Medien

    Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

    Techniken

    Strategische Prozessführung

    Der Begriff strategische Prozessführung kombiniert die Worte Strategie im Sinne von Plan und Taktik‘ und Prozessführung im Sinne von ‚Klage vor Gericht‘. Eine einheitliche Definition des Konzepts existiert bislang nicht. Meist werden hierunter (Muster)Klagen von NGOs und Bürgerrechtsorganisationen verstanden, mit denen über den Einzelfall hinausgehende soziale und gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden.

    Inszenierte Kontroverse

    Inszenierte Kontroversen liegen vor, wenn Politiker, Vertreter von Interessengruppen, Aktivisten, Journalisten, Influencer oder andere öffentlich wirksame Akteure potentiell strittige Themen möglichst effektvoll in einen Diskurs einbringen oder einen entsprechenden Diskurs auslösen, und zwar um entsprechende Perspektivierungen bestimmter Konfliktlagen im eigenen Interesse konfrontativ zu prägen.

    -ismus

    Bei Ismen geht es ursprünglich um die Wortendung (sog. Suffix) -ismus (Plural -ismen), mit der Substantive mit substantivischem oder adjektivischem Wortstamm (Basis) gebildet werden (z.B. Vulkan-ismus oder Aktiv-ismus).

    Persuasion

    Persuasion kommt vom lateinischen Verb persuadere und bedeutet ‚überzeugen, überreden‘ (gebildet aus suadere ‚raten, empfehlen‘ und per ‚durch, über‘).‘). Der Begriff stammt aus der Rhetorik, in der es vor allem darum geht, wie man Hörer:innen oder Leser:innen auf seine Seite bringt: wie man sie zum Beispiel in einem Gerichtsprozess von der Schuld oder Unschuld eines/einer Angeklagten überzeugt, wie man sie politisch zur Parteinahme überredet oder wie man sie ganz allgemein für sich selbst oder einen bestimmten Gegenstand/Sachverhalt einnimmt.

    Zensur

    Zensur sowie die Praktik des Zensierens sind Machtpraktiken der Einschränkung, Kontrolle und des Verbots von Besitz oder Rezeption von Kunstwerken, Medien, aber auch von Äußerungen bzw. einzelnen Sätzen, Sprüchen, Phrasen bis hin zu Wörtern.

    Ironie

    Ironie (altgriechisch εἰρωνεία (eirōneía), wörtlich ‚Verstellung‘, ‚Vortäuschung‘) ist in unserer unmittelbaren und massenmedialen Kommunikationskultur sehr bedeutsam. Sie arbeitet mit einem Bewertungsgegensatz zwischen Gesagtem und Gemeintem.

    Wiederholen

    Das Wiederholen von Äußerungen in öffentlichen (politischen) Diskursen zielt darauf, das Denken anderer zu beeinflussen, Wissen zu popularisieren, einseitige (z. B. fanatisierende, beschwörende, hysterische, ablenkende, pseudosachliche) Konstruktionen von Wahrheit zu erzeugen, um die soziale Wirklichkeit als intersubjektiven Konsens im einseitigen Interesse des „Senders“ zu verändern. Grundvoraussetzung ist die Annahme, dass das kollektive Denken stets mächtiger als das individuelle Denken ist.

    Diskreditieren

    Das Diskreditieren ist eine Praktik, mit der Diskursakteure durch verschiedenste Strategien, die von Verunglimpfungen und Verleumdungen bis hin zu rufschädigenden Äußerungen reichen, abgewertet und herabgesetzt werden.

    Nähe inszenieren

    Die Inszenierung von Nähe beschreibt eine Kommunikations>>praktik, bei der Akteur:innen Techniken einsetzen, um Vertrautheit, Sympathie und Authentizität zu vermitteln (z.B. das Angebot einer:s Vorgesetzten, zu duzen).

    Diplomatie

    Diplomatie bezeichnet im engeren Sinne eine Form der Kommunikation zwischen offiziellen Vertretern von Staaten, die die Aufgabe haben, zwischenstaatliche Beziehungen durch und für Verhandlungen aufrecht zu erhalten. Diese Vertreter können Politiker oder Beamte, insbesondere des diplomatischen Dienstes, sowie Vertreter internationaler Organisationen sein.

    Schlagwörter

    Massendemokratie

    Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

    Social Bots

    Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

    Kriegsmüdigkeit

    Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

    Woke

    Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

    Identität

    Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

    Wohlstand

    Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

    Remigration

    Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

    Radikalisierung

    Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

    Bürokratie

    Bürokratie ist ein Begriff, der im Rahmen aktueller strategischer Kommunikation ein dicht besetztes, polarisiertes Feld korrespondierender Ausdrücke öffnet. Neben den direkten Ab-leitungen Bürokratisierung, Bürokratismus und Komposita, als wichtigstes Bürokratieabbau, gehören dazu vor allem Flexibilisierung, Privatisierung, Deregulierung.

    Politisch korrekt / Politische Korrektheit

    Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.

    Verschiebungen

    Dehumanisierung

    Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

    Kriminalisierung

    Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

    Versicherheitlichung

    In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

    Ökonomisierung

    Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

    Moralisierung

    Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

    Konstellationen

    Partizipatorischer Diskurs

    Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

    Skandal

    Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

    DiskursReview

    Review-Artikel

    Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

    Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

    Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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    Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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    Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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    Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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    Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

    Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.