DiskursGlossar

Finanz-Topos

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke
Siehe auch: Ökonomisierung, Topos, Autoritäts-Topos, Analogie-Topos, Topos der düsteren Zukunftsprognose
Autor: Denis Gerner
Version: 1.0 / Datum: 13.10.2025

Kurzzusammenfassung

Mit dem Finanz-Topos werden im Diskurs Argumente gebildet, mit denen Akteure bestimmte Maßnahmen als finanziell sinnvoll befürworten oder als unrentabel zurückzuweisen. Aus politolinguistischer Perspektive lässt sich dieses Argumentationsmuster wie folgt umschreiben:

Weil etwas viel Geld kostet, empfehlen sich Handlungen, durch die sich das investierte Geld rentiert oder es sollten Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern.

Und umgekehrt gilt: Weil etwas wenig Geld kostet, brauchen keine Handlungen ausgeführt werden, die die Kosten verringern (vgl. Wengeler 2003: 306).

Der Finanz-Topos findet sich nicht nur im Wirtschaftsdiskurs. Vielmehr findet er sich grundsätzlich als Muster überall dort, wo mit Kosten der Wirtschaftlichkeit oder mit (erwarteten) Profiten argumentiert wird. Der Topos wird regelmäßig diskursstrategisch eingesetzt: Dabei werden finanzielle Belastungen für bestimmte Gruppen als direkte und unzumutbare Folge der zur Diskussion stehenden Maßnahmen konstruiert, um so den Handlungsdruck zugunsten der eigenen Handlungsvorstellungen zu erhöhen. Andere Spät- oder Folgekosten werden oft (bewusst) ausgeblendet. Die Omnipräsenz des Topos und sein Vorkommen in praktisch allen Lebensbereichen kann als Hinweis für die zunehmende Ökonomisierung neoliberaler Gesellschaften gewertet werden.

Erweiterte Begriffsklärung

In neoliberalen Gesellschaften ist der Topos ein allgegenwärtiges Argumentationsmuster, welches sich in vielfältigen Variationen wiederfindet und zugleich Diskurse inhaltlich-hegemonial formt und strukturiert. Das heißt, dem Finanz-Topos wird von den verschiedensten Diskursakteuren (implizit) oft eine besonders hohe Relevanz und ein gewisser Vorrang gegenüber anderen (womöglich ebenso relevanten) Punkten und Argumenten beigemessen, was sich schon in der Häufigkeit des Topos andeutet. Diskursanalytisch wird das beispielsweise dann greifbar, wenn Fragen nach der Ausgestaltung des sozialen Lebens oder der Nachhaltigkeit bestimmter Maßnahmen sich den Fragen nach Kosten unterordnen (vgl. Gerner 2025). Der Finanz-Topos fungiert so regelmäßig als scheinbar notwendige und unhintergehbare Prämisse weiterer Aushandlungsprozesse. Oder dies geschieht implizit – d. h. Folgediskussionen setzen eine bestimmte Bewertung der Kosten bereits voraus. Der Finanz-Topos fungiert damit nicht nur als ,Schablone‘, um ökonomisch motivierte Argumentationen zu bilden, sondern sein Gebrauch verrät auch ein zugrundeliegendes Deutungsmuster neoliberaler, insbesondere westlicher Kulturen, die gesellschaftliche Fragestellungen vor allem vor dem Hintergrund ihrer ökonomischen Auswirkungen interpretieren.

Für den Finanz-Topos und seine Variationen finden sich zahlreiche musterhafte sprachlich-kommunikative Realisierungsformen: Hierzu zählen Schlagwörter und -phrasen, die eine ,Indikatorfunktion‘ (vgl. hierzu Römer 2018: 130) für den Topos einnehmen. Hinter zahlreichen Schlagphrasen werden ganze Argumentationen gebündelt und mit Deutungsmustern verknüpft: Im neoliberalen Deutungsmuster etwa wird in der feststehenden Phrase der Markt regelt das zugleich auch der Finanz-Topos aktiviert, wodurch staatliche Eingriffe in die Wirtschaft als nachteilig perspektiviert werden. Aber auch in dem politischen Slogan Leistung muss sich wieder lohnen wird der Finanz-Topos in doppelter Hinsicht aktiv. Zum einen wird das Deutungsmuster einer Leistungsgesellschaft zugrunde gelegt, zum anderen wird die finanzielle Entlohnung als Maßstab für die erbrachte Leistung (=Arbeitszeit) angesetzt. 

Der Finanz-Topos geht auch mit einer hohen Dichte an Kollektivsymboliken einher. In Wirtschaftsdiskursen etwa werden mit diesen Kollektivsymboliken komplexe Vorgänge gesellschaftlich deutbar gemacht (vgl. Knobloch 2022): Die Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf, kommt in die Gänge, der Kurs stürzt ein. Im energiepolitischen Diskurs findet sich beispielsweise regelmäßig die kollektivsymbolisch aufgeladene Schlagphrase Sonne und Wind schicken keine Rechnung. Um diese Schlagphrase drehen sich auch ganze Deutungskämpfe, in denen der Aussage widersprochen wird und mit der häufig auch eine bestimmte Gegnergruppe assoziiert werden soll (vgl. hierzu Gerner 2025). Typische Schlagwörter mit Indikatorfunktion für den Finanz-Topos sind ferner: Wirtschaftsstandort, Investitionen, Wirtschaftlichkeit, Sozialausgaben, Wachstum. Aber auch Hochwertvokabeln wie Mittelstand, Zukunftstechnologien und Innovation wirken wie verdichtete Argumente und realisieren den Finanz-Topos. Negativ konnotierte Schlagworte wie Deindustrialisierung oder Standortschwächung aktivieren regelmäßig ebenfalls den Topos der düsteren Zukunftsprognose über den Finanz-Topos.

Fachdiskurse beispielsweise zum Staatshaushalt und damit verbundenen Milliarden-Ausgaben sind für Nicht-Expertinnen und -Experten sehr abstrakt und kaum interpretierbar. Verschiedene politische und Wirtschafts-Akteure nutzen diesen Umstand kommunikationsstrategisch, um beispielsweise staatliche Finanzierungsfragen mit Mehrkosten in Verbindung zu setzen, die dann als Belastung für bestimmte Gruppen behauptet werden. Der Topos wird damit regelmäßig so realisiert, dass wenn die geforderten Maßnahmen nicht schnell ergriffen werden, eine unerwünschte Belastung von bestimmten sozialen Gruppen eine unvermeidliche Folge wäre. So diskutiert auch Wengeler bereits 2003 die enge Verwandtschaft des Finanz-Topos zum Belastungs-Topos (vgl. Wengeler 2003: 303).

Grundsätzlich ist eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlichen Kosten und sozialen Belastungen naheliegend. Manipulativ-strategisch wird der Finanz-Topos von Akteuren dann realisiert, wenn bei bestimmten Gruppen aufgrund behaupteter Belastungen proaktiv Zukunftsängste erzeugt werden sollen, um den Handlungsdruck zugunsten der eigenen Maßnahmen weiter zu erhöhen. Regelmäßig findet sich auch eine Sachzwang-Rhetorik (Daran führt kein Weg vorbei) und eine intensivierte zeitliche Dringlichkeit (Jetzt müssen wir schnell handeln). Subtiler können sich strategische Bemühungen gestalten, die beispielsweise durch geschicktes Framing oder Agenda Setting versteckte, indirekte oder gesellschaftliche Folgekosten verschleiern (wie Umweltverschmutzung, sinkendes Bildungsniveau, Kosten für Rückabwicklungen/Rückbau usw.).

Hieraus lassen sich auch einige Gegenstrategien ableiten: Realisierungen des Finanz-Topos werden in Diskursen mitunter so gestaltet, dass sie eine vermeintliche Alternativlosigkeit der dargestellten Folgerungen – etwa hinsichtlich der Belastung oder Akzeptanz – nahelegen. In diesem Zusammenhang kann geprüft werden, inwiefern Merkmale einer als ,pseudo-naturgesetzlich‘ erscheinenden Notwendigkeit zu erkennen sind (vgl. Römer 2017: 68). Der ,verengte‘ Diskursraum kann dann auch dadurch wieder geöffnet werden, indem alternative Perspektiven und Handlungsoptionen eingebracht werden. Das kann beispielsweise bedeuten, zu prüfen, welche Aspekte in den ,Rechnungen‘ nicht berücksichtigt werden oder wovon abgelenkt werden soll, gerade mit Blick auf versteckte oder langfristige auch nicht-monetäre (Folge-)Kosten.

Beispiele

(1) Mit Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 wurde der Finanz-Topos von Selenskyj in der Ansprache an den Deutschen Bundestag reflektiert:

[…] Als wir Ihnen sagten, dass die Nord Stream-Leitungen Waffen sind und der Vorbereitung auf einen großen Krieg dienen, hörten wir die Antwort: „Es geht hier aber um die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“. Doch das war der Zement für eine neue Mauer. […] Als wir um präventive Sanktionen baten, wandten wir uns an Europa, wandten wir uns an viele Staaten, wandten wir uns an Sie. Sanktionen, die so ausgestaltet sind, dass der Aggressor spürt, dass Sie eine Kraft darstellen. Und wir sahen ein Hinauszögern. Wir verspürten einen Widerstand. Wir haben verstanden, dass Sie die „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ fortführen wollen. (Deutscher Bundestag 2022)

Dabei wird kritisiert, dass Fragen nach politischen Handlungsoptionen gegen Russland vor allem hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet und (nicht-)ergriffen werden, statt wie vom ukrainischen Präsidenten gefordert nach Maßstäben außerhalb ökonomischer Vor- oder Nachteile.

(2) Zu Zeiten der Ampel-Koalition und anschließend zu Zeiten intensivierter Wahlkampfbemühungen war und ist das stagnierende Wirtschaftswachstum und die Prognose für 2025 ein diskursiv stark umkämpftes Thema. Im folgenden Beleg werden durch die Berliner Morgenpost die wirtschaftliche Situation als Krise eingeführt und anschließend die Maßnahmen der großen Parteien im Artikel skizziert:

Die SPD will die deutsche Wirtschaft durch Investitionen in Zukunftstechnologien und sozial gerechte Maßnahmen wieder auf Kurs bringen. Ein zentrales Instrument ist der Deutschlandfonds, der mit bis zu 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll, um Innovationen in Bereichen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Infrastruktur zu fördern. Der Fonds soll sowohl öffentliche als auch private Mittel mobilisieren und nachhaltige Arbeitsplätze schaffen. (Morgenpost 2025)

Der Finanz-Topos realisiert sich hier in der Annahme oder Behauptung, die Investitionen lohnten sich für Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Was sich unter den Hochwertvokabeln Zukunftstechnologien und sozial gerecht verbirgt, bleibt im Artikel unbeantwortet, ebenso wenig wird dargelegt, wie und von wem dieser Deutschlandfonds finanziert wird und warum es genau 100 Milliarden sind – nicht mehr oder weniger. Mit Fonds wird eine beschönigende Bezeichnung für einen Kredit bzw. Schulden gewählt. Für Nicht-Experten ist kaum zu durchschauen und zu prüfen, inwiefern die geforderten Maßnahmen tatsächlich realisierbar sind und die versprochenen Effekte wirken würden. 

(3) Die Hürden zur Beteiligung an Wirtschaftsdiskursen sind regelmäßig sehr hoch und erfordern von den Diskursbeteiligten Wissen über volkswirtschaftliche und rechtliche Zusammenhänge. Gerade von Nachrichtenportalen und Zeitungen werden deshalb auch gerne Wirtschafts-Expertinnen und -Experten (siehe Autoritäts-Topos) interviewt und zitiert, deren Expertise durch die Herausstellung ihrer akademischen Titel und/oder Positionen innerhalb großer Institutionen oder Unternehmen hervorgehoben wird:

Wirtschaftsweise halbieren Wachstumsprognose

„In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft“, sagte SVR-Vorsitzende Schnitzer. Umso wichtiger sei es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben.“ Dafür schlägt der Rat in seinem Jahresgutachten verschiedene Maßnahmen vor. So sollte der Staat etwa zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben priorisieren. Die Versäumnisse zeigten sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintrete. (Tagesschau 2024)

Der Sachverständigenrat für Wirtschaft (kurz SVR), auch die Wirtschaftsweisen genannt, haben hier durch ihre beratende Funktion der Bundesregierung auch eine diskurssteuernde Funktion. Als institutionell ausgewiesene ,Wissens-Autoritäten‘ referieren daher regelmäßig Finanz-Topoi in Form des Experten-Topos auf ihn.

 

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Römer, David (2017): Wirtschaftskrisen: Eine linguistische Diskursgeschichte. Berlin, Boston: De Gruyter. (Siehe dort insbesondere: Topos der Marktwirtschaft, Topos vom Marktversagen, Investitions-Topos, Rentabilitäts-Topos)

Zitierte Literatur

    Zitiervorschlag

    Gerner, Denis (2025): Finanz-Topos. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.10.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/finanz-topos/.

    DiskursGlossar

    Grundbegriffe

    Diskurssemantische Verschiebung

    Mit dem Begriff der diskurssemantischen Verschiebung wird in der Diskursforschung ein Wandel in der öffentlichen Sprache und Kommunikation verstanden, der auf mittel- oder län-gerfristige Veränderung des Denkens, Handelns und/oder Fühlens größerer Gesellschafts-gruppen hinweist.

    Domäne

    Der Begriff der Domäne ist aus der soziologisch orientierten Sprachforschung in die Diskursforschung übernommen worden. Hier wird der Begriff dafür verwendet, um Muster im Sprachgebrauch und kollektiven Denken von sozialen Gruppen nach situationsübergreifenden Tätigkeitsbereichen zu sortieren.

    Positionieren

    Positionieren ist Grundbestandteil menschlicher Kommunikation. Wann immer wir miteinander interagieren und kommunizieren, bringen wir uns selbst, andere und die Objekte, über die wir sprechen, in bestimmte Relationen zueinander.

    Deutungsmuster

    Unter einem Deutungsmuster wird die problem- und lösungsbezogene Interpretation gesellschaftlicher und politischer Tatbestände verstanden, die Aussicht auf Akzeptanz in sozialen Gruppen hat. Der Begriff des Deutungsmusters hat Ähnlichkeit mit den Begriffen der Theorie und Ideologie. Meist werden gesellschaftlich verbreitete Leitdeutungen, die oft mit Schlagwörtern und Argumentationsmustern einhergehen (wie Globalisierung, Kapitalismus, Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit etc.) als Beispiele für Deutungsmuster genannt.

    Sinnformel

    ‚Wer sind wir? Woher kommen, wo stehen und wohin gehen wir? Wozu leben wir?‘ Auf diese und ähnliche existentielle Fragen geben Sinnformeln kondensierte Antworten, die in privaten wie sozialen Situationen Halt und Argumenten in politischen und medialen Debatten einen sicheren Unterbau geben können.

    Praktik

    Eine Praktik ist ein spezifisches, situativ vollzogenes und sinnhaftes Bündel von körperlichen Verhaltensweisen, an dem mehrere Menschen und Dinge beteiligt sein können (z. B. Seufzen, um Frust auszudrücken, oder einen Beschwerdebrief schreiben, Fußballspielen).

    Kontextualisieren

    Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

    Narrativ

    Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.

    Argumentation

    Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

    Hegemonie

    Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

    Techniken

    Dogwhistle

    Unter Dogwhistle wird in Teilen der Forschung eine doppeldeutige Äußerung verstanden, die eine offene und eine verdeckte Botschaft an jeweils eine Zuhörerschaft kommuniziert.

    Boykottaufruf

    Der Boykottaufruf ist eine Maßnahme, die darauf abzielt, ein Ziel, also meist eine Verhaltensänderung des Boykottierten, hervorzurufen, indem zu einem Abbruch etwa der wirtschaftlichen oder sozialen Beziehungen zu diesem aufgefordert wird.

    Tabuisieren

    Das Wort Tabuisierung bezeichnet die Praxis, etwas Unerwünschtes, Anstößiges oder Peinliches unsichtbar zu machen oder als nicht akzeptabel zu markieren. Das Tabuisierte gilt dann moralisch als unsagbar, unzeigbar oder unmachbar.

    Aus dem Zusammenhang reißen

    Das Aus-dem-Zusammenhang-Reißen gehört in den Funktionskreis der Redewiedergabe bzw. der Wiedergabe kommunikativer Ereignisse. Es kann (1) als intentionale argumentativ-polemische Strategie für ganz unterschiedliche diskursive Zielsetzungen von Akteuren genutzt werden, oder (2) es kann SprecherInnen und SchreiberInnen in unbeabsichtigter, fehlerhafter Weise unterlaufen.

    Lobbying

    Lobbying ist eine Form strategischer Kommunikation, die sich primär an Akteure in der Politik richtet. Beim Lobbying wird ein Bündel von kommunikativen Tätigkeiten mit dem Ziel eingesetzt, die Entscheidungen von Personen mit politischem Mandat oder den Entstehungsprozess von neuen Gesetzestexten interessengeleitet zu beeinflussen.

    Karten

    Karten dienen dazu, Raumausschnitte im Hinblick auf ausgewählte Charakteristika so darzustellen, dass die Informationen unmittelbar in ihrem Zusammenhang erfasst und gut kommuniziert werden können. Dazu ist es notwendig, Daten und Darstellungsweisen auszuwählen und komplexe und oft umkämpfte Prozesse der Wirklichkeit in einfachen Darstellungen zu fixieren.

    Pressemitteilung

    Pressemitteilungen sind standardisierte Mitteilungen von Organisationen, die sich an Journalist:innen und andere Multiplikator:innen richten. Sie dienen der offiziellen und zitierfähigen Informationsweitergabe und übernehmen zugleich strategische Funktionen in der öffentlichen Kommunikation und Meinungssteuerung.

    Shitstorm

    Der Begriff Shitstorm beschreibt eine relativ junge Diskurskonstellation, die seit den 2010er Jahren an Bedeutung gewonnen hat und gemeinhin als Online-Wutausbruch bezeichnet wer-den kann.

    Tarnschrift

    Als Tarnschrift bezeichnet man unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgungsrisiko veröffentliche Texte, die insbesondere in der strategischen Kommunikation des NS-Widerstands eine zentrale Rolle spielten.

    Ortsbenennung

    Die Benennung von Orten dient in erster Linie dazu, den jeweiligen geografischen Ort zu lokalisieren und ihn zu identifizieren. Doch Ortsnamen besitzen eine soziale Dimension und spielen eine entscheidende Rolle bei der sprachlich-kulturellen Identitätskonstruktion.

    Schlagwörter

    Echokammer

    Der Begriff der Echokammer steht in seiner heutigen Verwendung vor allem im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien. Er verweist metaphorisch auf einen digitalen Kommunikations- und Resonanzraum, in dem Mediennutzer*innen lediglich Inhalten begegnen, die ihre eigenen, bereits bestehenden Ansichten bestätigen, während abweichende Perspektiven und Meinungen ausgeblendet bzw. abgelehnt werden.

    Relativieren

    Der Ausdruck relativieren besitzt zwei zentrale Bedeutungsvarianten: In bildungssprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten bezeichnet er eine analytische Praxis, bei der Aussagen, Begriffe oder Phänomene durch Bezugnahme auf andere Sachverhalte eingeordnet, differen-ziert und in ihrer Geltung präzisiert werden.

    Massendemokratie

    Geprägt wurde der Begriff Massendemokratie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von völkisch-konservativen Akteuren (prominent darunter Carl Schmitt 1926). Der Ausdruck Masse hatte damals bei den bürgerlichen Eliten eine rundum bedrohliche Assoziation.

    Social Bots

    Als Social Bots werden Computerprogramme bezeichnet, die in der Lage sind, in sozialen Medien Kommunikation menschlicher Nutzer*innen (teilweise) automatisiert nachzuahmen.

    Kriegsmüdigkeit

    Der Ausdruck Kriegsmüdigkeit bezeichnet die emotionale und physische Erschöpfung von Menschen, die einen Krieg erleben, sowie die gesellschaftliche und politische Ermüdung angesichts langanhaltender Konflikte. Er beschreibt den sinkenden Kampfeswillen bei Kriegsparteien und heute wird er auch für das wachsende Desinteresse an Kriegsthemen in Medien und Öffentlichkeit genutzt.

    Woke

    Der Ausdruck woke stammt aus dem afroamerikanischen Englisch und bezeichnete dort zunächst den Bewusstseinszustand der Aufgeklärtheit über die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen und Diskriminierung unter Angehörigen ethnischer Minderheiten.

    Identität

    Unter Identität versteht man allgemein die Summe von Merkmalen, die Individuen oder sozialen Kollektiven – etwa Nationen, Organisationen oder sozialen Gruppen – als charakteristisch oder gar als angeboren zugeordnet werden.

    Wohlstand

    Unter Wohlstand sind verschiedene Leitbilder (regulative Ideen) zu verstehen, die allgemein den Menschen, vor allem aber den Beteiligten an politischen und wissenschaftlichen Diskursen (politisch Verantwortliche, Forschende unterschiedlicher Disziplinen usw.) eine Orientierung darüber geben sollen, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht.

    Remigration

    Der Begriff Remigration hat zwei Verwendungsweisen. Zum einen wird er politisch neutral verwendet, um die Rückkehrwanderung von Emigrant:innen in ihr Herkunftsland zu bezeichnen; die meisten Verwendungen beziehen sich heute jedoch auf Rechtsaußendiskurse, wo das Wort der euphemistischen Umschreibung einer aggressiven Politik dient, mit der nicht ethnisch deutsche Immigrant:innen und ihren Nachfahr:innen zur Ausreise bewegt oder gezwungen werden sollen.

    Radikalisierung

    Das Adjektiv radikal ist ein mehrdeutiges Wort, das ohne spezifischen Kontext wertneutral gebraucht wird. Sprachhistorisch bezeichnete es etwas ‚tief Verwurzeltes‘ oder ‚Grundlegendes‘. Dementsprechend ist radikales Handeln auf die Ursache von etwas gerichtet, indem es beispielsweise zugrundeliegende Systeme, Strukturen oder Einstellungen infrage stellt und zu ändern sucht.

    Verschiebungen

    Dehumanisierung

    Mit Dehumanisierung bzw. Anthropomorphisierung werden solche kommunikativen Techniken und Praktiken bezeichnet, die Personen, Sachverhalten oder Gegenständen menschliche Eigenschaften ab- bzw. zusprechen. Dehumanisierung und Anthropomorphisierung können sowohl durch sprachliche Mittel als auch durch andere, z. B. bildliche, Zeichen vollzogen werden.

    Kriminalisierung

    Kriminalität meint ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt. Folglich bedeutet Kriminalisierung im engeren Sinne den Vorgang, durch den Verhalten ungesetzlich gemacht wird – indem Gesetze geschaffen werden.

    Versicherheitlichung

    In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

    Ökonomisierung

    Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

    Moralisierung

    Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

    Konstellationen

    Partizipatorischer Diskurs

    Partizipation ist mittlerweile von der Forderung benachteiligter Personen und Gruppen nach mehr Beteiligung in der demokratischen Gesellschaft zu einem Begriff der Institutionen selbst geworden: Kein Programm, keine Bewilligung mehr, ohne dass bestimmte Gruppen oder Personen dazu aufgefordert werden, für (mehr) Partizipation zu sorgen.

    Skandal

    Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

    DiskursReview

    Review-Artikel

    Beobachtung zum Begriff „Diplomatie“ beim Thema Ukraine im Europäischen Parlament

    Von EU-Vertretern waren zur Ukraine seit 2022 vor allem Aussagen zu hören, die sich unter dem Motto „as long as it takes“ beziehungsweise „so lange wie nötig“ für die Erweiterung der militärischen Ausstattung und der Verlängerung des Krieges aussprachen. Vorschläge oder Vorstöße auf dem Gebiet der „Diplomatie“ im Sinne von ‚Verhandeln (mit Worten) zwischen Konfliktparteien‘ gab es dagegen wenige, obwohl die klare Mehrheit von Kriegen mit Diplomatie beendet wurden (vgl. z.B. Wallensteen 2015: 142)

    Die Macht der Worte 4/4: So geht kultivierter Streit

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    Die Macht der Worte 3/4: Sprachliche Denkschablonen

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    Die Macht der Worte 2/4: Freund-Feind-Begriffe

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    Die Macht der Worte 1/4: Wörter als Waffen

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    Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

    Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.