DiskursGlossar

Politisch korrekt / Politische Korrektheit

Kategorie: Schlagwörter
Verwandte Ausdrücke: Political Correctness, politically (in)correct, politisch (un)korrekt, Kulturbolschewismus, Wokeness
Siehe auch: Cancel Culture, Woke, Identitätspolitik
Autor: Marc Fabian Erdl
Version: 1.0 / Datum: 14.01.2025

Kurzzusammenfassung

Der Ausdruck politisch korrekt/Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct/P.C./Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt. Ziel dieser Positionen, so die Vorwürfe, wäre es, als benachteiligt gelesene Gruppen weit über Gebühr zu stärken und zu stützen.

Der Ursprung des Begriffs ist nebulös. Vereinzelt sind diskurstypische Verwendungsweisen der adjektivischen Form in den achtziger Jahren nachweisbar. Die damit aufgerufenen Zusammenhänge bleiben inhaltlich unscharf, was sich in den Neunzigern im Grunde fortsetzte. Auch der Ursprung der (Schein-)Konzeptualisierung durch Substantivierung (von politically correct zu Political Correctness) ist unklar. Eine kohärente Weltanschauung, gar eine identifizierbare Bewegung, die mit diesem Begriff sinnstiftenderweise hätten subsumiert werden können, sind beide nicht schlüssig nachweisbar.

Die in diesem Zusammenhang kolportierte Legende, es handele sich um ein linkes Fahnenwort zur affirmativen Beschreibung diskursiver Praxen, ist ebenfalls nicht schlüssig belegt. Nachgewiesen sind die Verwendungen als Stigmawort (Erdl 2004). Zu den Pointen der (begriffs-)geschichtlichen Entwicklung gehört, dass heutzutage in der Tat diskursive Verhältnisse eingetreten sind, die den Mythen und Zerrbildern der 90er Jahre ähneln, wobei oft Modi der Diskursverknappung an die Stelle von Zensur im engeren Sinne rückten. Es fand dabei auch eine partielle ,Entstigmatisierung‘ des Ausdrucks statt, dergestalt, dass er unironisch verteidigt oder gelegentlich sogar konfliktorientiert und affirmativ verwendet wird.

Erweiterte Begriffsklärung

Folgt man dem Duden, bezeichnet das Phraseolexem Political Correctness eine

Einstellung, die alle Ausdrucksweisen und Handlungen ablehnt, durch die jemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, seiner körperlichen oder geistigen Behinderung oder sexuellen Neigung diskriminiert wird. (Duden 2024)

Das ist womöglich nicht ganz falsch und entspricht einem diffusen Verständnis, das eine kommunikative Verständigung über das (vielleicht) Gemeinte ermöglicht. Aber die um das Jahr 2000 einsetzende lexikalische Etablierung suggeriert eine empirische Basis und konsistente Begriffsgeschichte, die lediglich den Anschein ‚objektiver‘ Geltung erweckt.

Die Verwendung des Phraseolexems im frisch wiedervereinigten Deutschland geschieht prominent ab ca. 1991/1992 (z. B. Brinck 1991), mit Rückbindung an die USA und an ein Bündel weltanschaulicher Konflikte (z. T. ungenau als „race-/class-/genderism“ zusammengefasst), die sich bei Kanonbildung, Affirmative Action (das heißt Förderung von benachteiligten Gruppen in Kunst, Bildung und Arbeitswelt) und Sprechweisen tatsächlich oder angeblich abgespielt hätten (vgl. Berman 1992, Wilson 1995).

Durch die Verwendung der asymmetrischen Gegenbegriffe korrekt/unkorrekt wird ein politischer bzw. moralischer Norm-Devianz-Konflikt inszeniert. Dabei wird der Devianz, also der Unkorrektheit, in den allermeisten Diskurspraxen ein höherer Wert beigemessen: Eine so markierte Haltung wird einer vermeintlich ‚herrschenden politischen Korrektheit‘ gegenübergestellt, und fallweise als ‚rebellischer‘, ‚realistischer‘, ‚ästhetisch gelungener‘, ‚lustiger‘ höhergestellt. In dieser Haltung scheint so spiegelverkehrt auf, was es hieße, sich gegen eine vermeintliche oder tatsächliche Obrigkeit zu wenden, sodass habituelle Parallelen z. B. zur Studentenbewegung oder den Spontis nun bei tendenziell rechten, bisweilen lebensweltlich gut situierten und konservativen Akteuren nachzuweisen sind, in jüngerer Zeit in der ,Identitären Bewegung‘. Mithin handelte es sich womöglich bei der Politischen Unkorrektheit zunächst auch um eine Form der protestkulturellen Aneignung.

Behauptet wurde dabei auch, es handele sich bei der Politischen Korrektheit um ein semi-kohärentes Sammelsurium bzw. ein Repertoire von Sprech- und anderen Handlungsweisen bzw. Einstellungen, mit dem löblichen Ziel, Diskriminierung zu vermeiden bzw. gesellschaftlich benachteiligten Gruppen zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen. Dabei allerdings, so heißt es bis heute, würden z. B. die Aufklärung, die Wahrheit, die Wissenschaften und die Westliche Kultur insgesamt unter die Räder kommen. Dieses von entsprechenden Akteuren als ‚beklagenswert‘ beurteilte Resultat wird dann den Politisch Korrekten als zersetzende oder totalitäre Absicht unterstellt, mindestens aber als von ihnen fahrlässig übersehene Gefahr benannt (vgl. z. B. Behrens/von Rimscha 1995, Noelle-Neumann 1996). Daher sei eine politisch unkorrekte Reaktion auf derlei abzulehnende Praxen angemessen.

Der Import des Phraseolexems, also die Einspeisung in die deutschsprachige Kommunikation fand im Wesentlichen auf zwei sich kreuzenden Pfaden statt. Zum einen wurde ab 1990 (USA) bzw. 1991 (Deutschland) in den Leitmedien über in den USA stattfindende Debatten in reißerischem Ton berichtet, zum anderen aber – quantitativ möglicherweise einflussreicher – wurde das Phraseolexem erläuterungslos in seiner Funktionsweise eingesetzt, in zahllosen Romanen, Zeitungsartikeln, Rezensionen, Klappentexten, etc. (vgl. Erdl 2004).

Im ersten Fall wurde dann – neben einer meist hämischen Berichterstattung über amerikanische Verhältnisse – auf Übereinstimmungen oder Parallelen zu deutschen Zuständen und Sprechweisen bzw. ‚Tabus‘ verwiesen, bereits 1992 etwa so:

Einen Begriff wie »political correctness«, abgekürzt: »pc«, kann man wohl ohne weiteres als die auch hierzulande übliche »politische Korrektheit« verstehen, eine Haltung, die sich, Nan Levinson zufolge, in den USA durch besondere »Intoleranz, Humorlosigkeit, Selbstgerechtigkeit, schlagwortartiges Reden und Dogmatismus« auszeichnet. Die politische Korrektheit in diesen Breiten ist von dieser Definition vermutlich nicht weit entfernt. (Ruge 1992: 5).

Grob vereinfacht gesagt wurden zu Beginn der neunziger Jahre der deutschen Öffentlichkeit (kaum überprüfbare) bizarre Anekdoten, Sittenbilder, Freund-Feind-Konstellationen aus dem US-amerikanischen Kultur-, Politik- und Medienbetrieb berichtet. Dort hätten allerlei Minderheiten und ihre ‚irgendwie linken‘ Verbündeten (später oft als Social Justice Warriors bezeichnet) Sprachregelungen und Handlungsweisen jenseits aller Vernunft mit brachialer Gewalt durchsetzen wollen. All dies gefährde die Demokratie, die freie Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung.

Zügig war dann die Rede von einer spezifisch deutschen „historischen Korrektheit“, einer durch die Re-education geprägten Meinung, die man in Deutschland über den Nationalsozialismus oder über Juden zu haben hätte (Behrens/von Rimscha 1995). Derlei Übertragungen fanden bald auch auf andere deutsche Verhältnisse und Befindlichkeiten statt (z. B. Papcke 1995). Durch diese Modifikationen entwickelte sich mithin ein „deutscher Themenpark“ (Erdl 2004: 176 ff.).

Aufgrund der konfliktfördernden Bauweise (siehe unten) und der relativen Unterbestimmtheit des Phraseolexems sind zahlreiche argumentativ gleichförmige, dabei letztlich wenig kohärente, Verwendungsweisen nachweisbar, die sich fast ausschließlich gegen irgendeine/jedwede Politische Korrektheit wenden. Import, (eindeutschende) Modifikation und intertextuelle Trivialisierung dieses Deutungsmusters wurden in Deutschland zu Beginn der neunziger Jahre mit bemerkenswerter Geschwindigkeit vollzogen, sodass man ein Bedürfnis nach einem solchen Deutungsmuster unterstellen kann. Passend dazu heißt es:

Ehe der Begriff der Political Correctness da war, gab es den Gesinnungsdruck einer [!] radikalen politischen Bewegung, den er dann bezeichnen sollte, seit langem. Aber da er keinen zusammenfassenden Namen hatte, fehlte es ihm gewissermaßen an voller Realität – das Phänomen war allgegenwärtig und in Ermangelung eines Namens doch nicht benennbar. Die Plötzlichkeit […], mit der er sich durchsetzte, zeigte, wie sehr er entbehrt worden war. Am Ende dürfte die bloße Existenz eines Namens einiges dazu beigetragen hat [sic], die Auswüchse der PC zu überwinden (Zimmer 1997: 108, Herv. v. MFE).

Diese Begriffsgeschichte ist vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der Wiedervereinigung zu lesen, Ereignisse, in denen die realgeschichtlichen Karten neu gemischt wurden. Bis heute gilt der politischen Rechten die Political Correctness als ein genuin linkes Projekt (begrifflich auf Mao Zedong zurückzuführen, vgl. dazu Erdl 2004: 306), was in unterschiedlich ernsthafter Form beklagt wird, z. B. auch mit stetem Rekurs auf Marx‘/Engels „Gespenst“ (Papcke 1995, u. v. a.).

Die nach 1989 desorientierte und desavouierte, insbesondere deutsche Linke beeilte sich, sich von diesen neuen sozialen ,Bewegungen‘ einer politisch korrekten ,loony left‘ zu distanzieren. Sie insistierte darauf, dass das alles gar nicht links wäre, was insofern nicht ganz unberechtigt ist, als dass „class“ eine sehr geringe Rolle in den Debatten spielte (Levitt et al. 1999). Eine weit verbreitete Variante war die Exitstrategie nun ehemaliger Linker, derzufolge es nun gelte, sich von verblassenden fundamentalistischen Idealen zu trennen und realpolitisch zu werden. Damit legitimierte die Rede von der Politischen Korrektheit die Abkehr von vermeintlichen (linken) Tabus und Denkverboten, indem sie den (typisch bundesdeutschen) Konflikt zwischen ‚Realos‘ und ‚Fundis‘ v.a. bei den Grünen modernisierte und fortschrieb. Genutzt haben beide Strategien der Linken letztlich wenig.

Mit der rasant ansteigenden Popularität des Phraseolexems ging die Einschreibung des allgemein gewünschten ‚Verständnisses‘ in die Wissenschaft einher, was den Mythos und die ihn tragenden Legenden weiter verfestigte. Obwohl oder vielleicht auch weil die kursierenden Anekdoten einer näheren Betrachtung nicht standhielten, blieben Aufklärungsversuche weitgehend folgenlos (Frank 1996, Erenz 1993). Zur Beschreibung der narrativen Ideallinie sei aus einer zeitgenössischen, für viele Texte exemplarischen Dissertation zitiert.

Kapitel 7 stellt eine Bewegung vor, die sich selbst politically correct nennt, von den US-amerikanischen Universitäten ausgeht, und sich durch Sprachrestriktionen und Sprachreformbemühungen hervorgetan hat. Diese Bewegung löste in den Vereinigten Staaten eine sehr kontrovers geführte Debatte aus, die um die Themen Meinungsfreiheit, Zensur, Rassimus und Sexismus, Multikulturalismus, Förderprogramme und Gleichberechtigung kreist. Am Beispiel der politically-correct movement, die langsam auch den europäischen Kontinent erreicht, läßt sich das Zusammenspiel von Sprache und Gesellschaft gut illustrieren. (Zöllner 1997: 13)

Daran stimmt auf der Faktenebene so gut wie nichts – vor allem hat kaum jemand sich selbst affirmativ als politically correct bezeichnet, erst recht nicht eine Bewegung, die ein reines Phantasma bleibt.

Aber diese um Fakten bereinigte, geglättete Sichtweise setzte sich durch. Das offensichtliche und auch im Plagiatsfall völlig sanktionslose gegenseitige Abschreiben solcher Narrative in Presse und Wissenschaft (ausführlich dazu Erdl 2004) ergab für Zeitgenossen und ergibt heute für die Nachwelt eine plausible, mehrkanalige und breite, jedoch reichlich trübe ‚Quellenbasis‘ zur Beantwortung der immergrünen Frage, was es denn nun mit der Political Correctness so auf sich habe und was die denn so eigentlich sei.

Das Phraseolexem profitierte bei seiner Etablierung von einer niedrigschwelligen Markteintrittsbarriere: Es konnte auf ein semantisches und narratives Vorverständnis bauen.

  1. Die Verwendung des Wortes korrekt beinhaltet, dass es z. B. zu einem Sachverhalt bzw. einer Handlungsweise  eine (oder selten mehrere) richtige Aussagen oder Verfahrensvorschriften gibt. Abweichungen davon sind unkorrekt. Wenn es sich um die Beschreibung einer Charaktereigenschaft handelt, ist das Wort schillernder: Man kann umgangssprachlich jemanden als ‚korrekten Typen‘ bezeichnen und das als Kompliment meinen, genauso aber ist es möglich, sich über die Korrektheit einer Person lustig zu machen, im Sinne einer ‚Buchhaltermentalität‘.
  2. Das attributive Adjektiv politisch verweist auf Zusammenhänge, Wissensbestände und Binsenweisheiten, von denen hier nur drei angedeutet werden sollen: dass ‚Politik ein schmutziges Geschäft‘ sei, dass ‚das Private politisch‘ sei, dass die „spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, […] die Unterscheidung von Freund und Feind ist“ (Schmitt 1932), und dergleichen mehr.
  3. In der Kombination beider Adjektive nun liegt das kommunikationsstrategische Potenzial des Phraseolexems darin, dass diese Korrektheit eine allenfalls eingeschränkte ist, nämlich eben nur eine politische. Damit aber ist sie relativ zur Realität, und sie ist angreifbar, weil sie oft fragwürdige politische Absichten enthält, auf Kosten einer genuinen, der Wahrheit oder Wirklichkeit verpflichteten, Korrektheit.
  4. Der ‚Bauplan‘ erzählt überdies die Mär, dass es eine ursprüngliche, festgelegte Politische Korrektheit z. B. im Sinne einer Parteilinie gäbe, sodass eine diesbezügliche Unkorrektheit derivativ wäre, logisch und zeitlich später läge und daher als eine – und zwar aufgrund von 3. legitime – Reaktion zu verstehen wäre.
  5. In der Folge führt das zur Bildung von Personen und Gruppen, die sich mit ihren Anliegen als politisch unkorrekte „Diskurspartisanen“ (Erdl 2004) im Namen der Wahrheit und einer ‚schweigenden Mehrheit‘ als Widerständler inszenieren können.

Neben den kolportierten „Wanderlegenden“ (Erdl 2004) erhellt auch aus diesem zielgruppengerechten narrativen ‚David-gegen-Goliath‘-Bauplan, warum das Phraseolexem eine „hohe paraphrastische und Reproduktionskapazität“ aufweist, wie Link sie als Erfolgsmerkmal für Kollektivsymbole beschrieben hat (Link 1982) – Texte mit diesem Phraseolexem schreiben sich wie von selbst. Ebenfalls zeigt sich, warum eine zum Teil synonym verwendete Moralische Korrektheit als Begriff sich nicht durchsetzen konnte (Bohrer 1992, vgl. auch Bittermann 1995/1996). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war daher in der deutschen Öffentlichkeit die meist selbsternannte Politische Unkorrektheit (was auch immer sie im Einzelnen umfassen oder bezeichnen sollte) als argumentative Haltung im Wesentlichen diskurshegemonial. Zaghafte Versuche, den Begriff der Politischen Korrektheit positiv zu besetzen (Diederichsen 1995), versandeten einstweilen.

Das galt aber nur bedingt für die mit dem Phraseolexem zu Recht oder Unrecht assoziierten Inhalte und Konflikte, die in den für sie relevanten Anspruchsgruppen, z. B. in Initiativen, Studiengängen, NGOs weiterhin ausgefochten, verhandelt und zum Teil ausgebaut werden konnten. Es empfiehlt sich, das Aufkommen des Internets, vor allem der sozialen Medien, als eine Art Reaktionspartner zu sehen, der die Umgangsweise mit der Politischen (Un-)Korrektheit neu verhandelte, und der sich selbst dabei ebenfalls verwandelte. Es entstanden neue kommunikative Spielwiesen, die es z. B. institutionell nicht eingebundenen und somit ‚nicht gefilterten‘ Menschen erlauben, zum Teil erhebliche Reichweiten zu erzielen, weit über traditionelle Zeitschriften oder Leserbriefe hinaus, und sich dabei in einer Weise landes- oder gar weltweit zu vernetzen, Möglichkeiten mithin, die ihnen vorher nicht zur Verfügung standen. Damit bleiben Haltungen möglicherweise reiner und kompromissloser als beim ‚Marsch durch die Institutionen‘, den sie aber nun ebenfalls stärker gestalten und beeinflussen. Das wäre mentalitäts- und generationengeschichtlich, auch institutionengeschichtlich noch genauer zu untersuchen.

Die damit einhergehende Selbstorganisation und Radikalisierung auf Plattformen wie Facebook und Twitter/X, aber auch und radikaler noch auf Tumblr und 4chan, führten zu einer weit tieferen Spaltung, als sie sich noch zu Beginn des Jahrtausends exemplarisch in der Trennung zwischen ‚selbsternannt Unkorrekten‘ und ‚als korrekt Bezeichneten‘ zeigte (vgl. Nagle 2017). Die redaktionellen Filterfunktionen etablierter Medien gegenüber der Partizipation ihrer Rezipienten (Umgang mit Leserbriefen etc.) sind historisch und sukzessive weitgehend, wenn auch nicht völlig, irrelevant geworden.

Die Institutionen wiederum werden möglicherweise restriktiver. Zwischen Triggerwarnungen und der lautstarken Forderung nach Safe Spaces z. B. in Universitäten einerseits, und andererseits einer radikalen Absage an jedwede Konzilianz zum Beispiel bei der AltRight und ihren deutschen Pendants, haben sich die diskursiven Antagonismen radikalisiert. Auch das hat dazu geführt, dass die einstmals beliebte Politische Unkorrektheit für viele an Distinktionsgewinn verloren hat, genauso wie die Sorge obsolet ist, mit den eigenen moralischen Anliegen von einer gefühlten Mehrheit als politisch korrekt verlacht zu werden.

Es stellt sich daher derzeit auch die Frage, ob und inwieweit der ca. 20‒25 Jahre währende Siegeszug der Politischen Unkorrektheit auch zu Allmählichkeitsschäden bei derselben geführt hat. Die beobachtbaren Tatsachen, dass

  • mittlerweile – einer Political Correctness ähnlich sehende – restriktive Sprech- und Verhaltensweisen in Öffentlichkeit und Politik praktisch und juristisch gefordert und umgesetzt werden,
  • historische Klamauk-Sendungen von z. B. Otto Waalkes im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Triggerwarnungen versehen werden, und Teile der Presse das begrüßen (Hollmer/Zips 2023),
  • es anscheinend zunehmend Fälle einer sogenannten Cancel Culture gibt, die mit mal weniger und mal mehr Erfolg praktiziert wird, z. B. durch Absagen/Ausladungen (oder Forderungen danach) im akademischen Raum (z. B. die causae Egon Flaig, an den Unis Osnabrück 2021 und v. a. Erlangen 2023, vgl. Brodkorb 2023),
  • auch Modi der moralisierenden Diskursverknappung im öffentlichen akademischen Raum Beifall finden,
  • empfundene Zuwiderhandlungen strafrechtlich stärker verfolgt werden (Stichwort ,Hatespeech‘, Verschärfung von StGB §130 und §188),

all diese und vergleichbare Phänomene als Anzeichen dafür gelesen werden können, dass die lange auch medial hegemoniale Politische Unkorrektheit sich in Teilbereichen der Öffentlichkeit zu Tode gesiegt hat. Während sie wiederum in den ganz anderen Teilen der Öffentlichkeit nun erst so richtig Fahrt aufnimmt. ‚Beide‘ Seiten haben sich radikalisiert. Wie eingangs formuliert, stehen die Zeichen eher auf eine Verstärkung dieser Konflikte.

Beispiele

(1) Beispiel für eine eskalationsorientierte Verwendung des Phraseolexems in bereits vorhandenen Konflikten:

Wider den geistigen Terror linker Gesinnungs­päpste. Aufsätze und Vorträge gegen heuchlerische Vergangenheitsbewältigung und das Diktat der »politischen Korrektheit«. (Buchtitel; Schreiber 1998)

(2) Beispiel für eine aktuelle, ,klassische‘ Verwendung des Phraseolexems in einer aktuellen Debatte:

Zum Attentat in Solingen, August 2024:

Wenn wir uns diesem Problem nicht stellen, wenn wir die Augen verschließen vor unübersehbaren Problemen, aus lauter politischer Korrektheit, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren! (Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, in der Fernsehtalkshow Hart aber fair vom 26.08.2024, zitiert nach Nyary 2024)

(3) Beispiel für eine affirmative, durch den Erscheinungsort offiziöse Verwendung des Phraseolexems, im Sinne eines gesamtgesellschaftlich ausgerichteten moralischen Imperativs:

 Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. (Buchtitel; Stefanowitsch 2018)

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Berman, Paul (Hrsg.) (1992): Debating P.C. The Controversy over Political Correctness on College Campuses. New York: Random House.
  • Erdl, Marc Fabian (2004): Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos. Bielefeld: transcript.
  • Scatamburlo, Valerie L. (1998): Soldiers of Misfortune. The New Right’s Culture War and the Politics of Political Correctness. New York, Washington: Peter Lang.

Zitierte Literatur und Belege

  • Behrens, Michael; Rimscha, Robert von (1995): »Politische Korrektheit« in Deutschland. Eine Gefahr für die Demokratie. 2. Aufl. Bonn: Bouvier.
  • Bittermann, Klaus; Henschel, Gerhard (Hrsg.) (1994): Das Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache. Berlin: Tiamat.
  • Brinck, Christine (1991): Multi-kultureller Joghurt. In: Süddeutsche Zeitung v. 02./03. 11.1991.
  • Bohrer, Karl Heinz; Scheel, Kurt (Hrsg.) (1992): GegenModerne. Über Fundamentalismus, Multikulturalismus und Moralische Korrektheit. In: Merkur Jg. 46, Heft 9/10, Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Brodkorb, Mathias (2023): Die samtpfötige Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. In: FAZ. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/ausladung-des-historikers-egon-flaig-wurde-nicht-plausibel-begruendet-19044685.html ; Zugriff: 20.12.2024.
  • Diederichsen, Diedrich (1995): Wer ist die Gehirnpolizei? In: Spex, Nr. 10/1995, S. 50–55.
  • Duden (2024): Political Correctness. Online unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Political_Correctness ; Zugriff: 01.09.2024.

  • Erenz, Benedikt (1993): Die tausend Augen des Doktor PC. In: Zeit, Nr. 44/1993.
  • Frank, Karsta (1996): Political Correctness. Ein Stigmawort. In: Diekmannshenke, Hajo; Klein, Josef (Hrsg.):

    Wörter in der Politik. Analysen zur Lexemverwendung in der politischen Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 185–218.

  • Holmer, Kathrin; Zips, Martin (2023): Pro und Kontra? Brauchen wir Triggerwarnungen im Fernsehen? In: Süddeutsche Zeitung. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/otto-waalkes-harald-schmidt-triggerwarnung-wdr-e628668/?reduced=true ; Zugriff: 20.12.2024.
  • Levitt, Cyril; Davies, Scott; McLaughlin, Neil (Hrsg.) (1999): Mistaken Identities. The Second Wave of Controversy over »Political Correctness«. New York, Washington: P. Lang.
  • Link, Jürgen (1982): Kollektivsymbolik und Mediendiskurse. In: kultuRRevolution, Jg. 1982, Heft 1, S. 6–20.
  • Nagle, Angela (2017): Kill All Normies. Online Culture Wars from 4chan and Tumblr to Trump and the Alt-Right. Winchester, Washington: Zer0 Books.
  • Noelle-Neumann, Elisabeth (1996): Political Correctness – was ist das? Öffentliche Meinung, Meinungsklima, Tabu als Machtfragen der Politik. In: FAZ v. 16.10.1996.
  • Nyary, Josef (2024): Klartext von Bosbach in „Hart aber fair“.  „Es geht um Junge Männer aus dem Arabischen Raum“. In: Bild.de. Online unter: https://www.bild.de/politik/inland/cdu-politiker-wolfgang-bosbach-in-hart-aber-fair-es-geht-um-araber-und-afrikaner-66cd09582e96240be0bbabda ; 20.12.2024.
  • Papcke, Sven (1995): »Political Correctness« oder die Reinigung der Sprache. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 21–22/1995. Online unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/537343/political-correctness-oder-die-reinigung-der-sprache/ ; Zugriff: 20.12.2024.
  • Ruge, Uta (1992). Hate-Speech. In: Taz v. 29.08.1992.
  • Stefanowitsch, Anatol (2018): Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Berlin: Dudenverlag.
  • Schmitt, Carl (1932): Der Begriff des Politischen. In: Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte. Heft 10. München/Leipzig: Duncker und Humblot.
  • Schreiber, Jürgen (1998): Wider den geistigen Terror linker Gesinnungs­päpste. Aufsätze und Vorträge gegen heuchlerische Vergangenheitsbewältigung und das Diktat der »politischen Korrektheit«. Bonn: Verl. Soldat im Volk.
  • Zimmer, Dieter E. (1997): Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber. Reinbek: Rowohlt.
  • Zöllner, Nicole (1997): Der Euphemismus im alltäglichen und politischen Sprachgebrauch des Englischen. Frankfurt a. M., Berlin: Peter Lang.

Zitiervorschlag

Erdl, Marc Fabian (2024): Politisch korrekt / Politische Korrektheit. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 14.01.2025. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/politisch-korrekt.

DiskursGlossar

Grundbegriffe

Kontextualisieren

Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.

Argumentation

Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.

Hegemonie

Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Metapher

In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Techniken

Nicht-Entschuldigen / Nonpology

Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen.

Liken

Die eigentliche Funktion des Likens geht jedoch über das Signalisieren von Zustimmung hinaus und ist konstitutiv für das Funktionieren sozialer Medienplattformen und das Aushandeln von verschiedenen Formen der Sozialität auf diesen.

Hashtag

Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).

Diminutiv

Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).

Sündenbock

Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.

Redenschreiben

Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Versicherheitlichung

In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.

DiskursReview

Review-Artikel

Relativieren – kontextualisieren – differenzieren

Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.

Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023

Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...

Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)

Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?

Was ist ein Volk?

Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.

Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!

Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…