DiskursGlossar

Gewaltaufruf

Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Mordaufruf
Siehe auch: Hate Speech/Hassrede
Autorin: Anja Lobenstein-Reichmann
Version: 1.2 / Datum: 13.12.2021

Kurzzusammenfassung

Gewaltaufrufe initiieren und unterstützen eine von nahezu allen sozialen Gruppen ausgeübte kulturelle Praxis, individuelle wie kollektive Konfliktsituationen nicht mit diskursiven, friedlichen Mitteln zu lösen, sondern durch aggressives, repressives, verletzendes und zerstörendes bzw. Verletzung androhendes Handeln, das sowohl auf den Körper wie auf die Psyche von Menschen einwirken kann. In nicht wenigen Fällen ist die Gewalt, zu der aufgerufen wird, auch gegen Materielles gerichtet, wie es unter anderem bei Vandalismus, Bücherverbrennung oder der Maschinenstürmerei der Fall ist.

Gewaltaufrufe sind historisch betrachtet kein neues Phänomen und stehen teilweise unter Strafe. Sie müssen nicht fremdautorisiert werden (stehen als Technik der Selbstermächtigung also jedem zur Verfügung), ihr Auftreten und ihre Wirksamkeit hängen aber von einem Diskurs– und Resonanzraum ab, der die Entstehung und Verbreitung von entmenschlichenden Feindbildern toleriert oder begünstigt.

Erweiterte Begriffsklärung

Werden Gewaltaufrufe, wie in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2021 als Ordnungs-, speziell als Rechtsverletzung kategorisiert, wie z.B. das „Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression“ (§ 80a StGB) oder die „Öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ (§ 111 StGB), sind sie strafbar. So lautet § 130 Abs. 1 StGB zur Volksverhetzung:

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Gemessen an diesen Kriterien wären die meisten Gewaltaufrufe in der Geschichte strafbar gewesen. Doch so einfach ist es nicht. Wie der Blick in die Geschichte der Gewaltaufrufe zeigt, sind der Gewaltsamkeits- bzw. der Rechts- oder Unrechtsstatus, die Zuordnung zu legitimiertem Machthandeln oder zu unrechtmäßig verübter ,violentia‘ oft eine Frage der je eigenen, in eine Zeit und eine Gesellschaft eingebundenen, diskursiv ausgehandelten Perspektive.

Der Sammlungs- und Schlachtruf der christlichen Kreuzfahrer Gott will es! legitimierte die Gewalt im ersten Kreuzzug 1096 (Hagenmeyer 1890: 151). Mit einem Tötungsappell, von dem der Evangelist Lukas (23,21) berichtet, beginnt die Passion Christi: Auf die Frage des römischen Statthalters Pilatus, ob er Jesus oder den Verbrecher Barnabas freilassen solle, stellte sich der keifende Mob lautstark gegen Jesus Christus und rief: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Ob die Radikalen (Sansculottes) der Französischen Revolution 1790 im Kampflied dazu aufforderten, die Aristokraten aufzuhängen (Ah! Ça ira, ça ira, ça ira, Les aristocrates à la lanterne!) oder ob Würzburger Studenten 1819 die Juden mit dem Mordappell Hep-Hep! Jud‘ verreck! bedrohten, der sich in Windeseile vom Frankenland über Hessen und Hamburg bis nach Danzig verbreitete (Graetz 11, 1900: 334): Gewaltaufrufe gegen Einzelpersonen, gegen einzelne soziale, politische oder religiöse Gruppen oder gegen Staaten gehören seit jeher zur gängigen sozialen Praxis innerhalb menschlicher Gemeinschaften. Sie erscheinen in der Geschichte in den unterschiedlichsten sozialen Zusammenhängen und in verschiedenen sprachlichen Formen; vom expliziten Imperativ (z.B. töte!) über das implizitere Revolutionslied oder den zynisch verniedlichenden Spottspruch, wie man ihn auf den deutschen Mobilisierungszügen 1914 lesen konnte: Auf zum Preisschießen nach Paris!

So vielfältig die Ausdrucksformen, so vielfältig sind die Funktionen von Gewaltaufrufen. Sie provozieren nicht nur Gewalttaten, sie dienen auch der Sammlung und der Mobilisierung von Massen, der Legitimation von Unrecht und Hass, der Gruppen- und Gefolgschaftsbindung auf der eigenen wie der Feindbildkonstruktion auf der Gegnerseite oder einfach nur der Aggressionsentladung. Selbst wenn die geforderte Gewalttat trotz der Explizitheit des Appells nicht ausgeführt wird, kann er im jeweiligen Diskurs dennoch wirkmächtig und kommunikativ erfolgreich sein. Als die Anhänger Donald Trumps auf einer Wahlkampfveranstaltung 2016 skandierten: „Hillary Clinton needs to get her ass spanked! Hang the bitch! Kill her!“, wurde die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zwar hinterher nicht umgebracht, aber die Partei wie ihre Wählerschaft wurde erfolgreich emotionalisiert, im Hass gegen den demokratischen Feind vereint und zur gemeinsamen Handlung in der Gefolgschaft der Trumpschen Ideologie mobilisiert.

Rechtmässige und unrechtmässige Gewalt

Die verletzende Gewalt (lat. ,violentia‘), um die es hier geht, unterscheidet sich von der legitimierten, d. h. gesellschaftlich kontrollierten Gewalt einer Ordnungsmacht (lat. ,potestas‘). Sie steht ihr als Ordnungsstörung gegenüber, ist aber oft nicht von ihr zu trennen; sie kann gar das entscheidende Mittel im Kampf um genau diese Ordnungsmacht bzw. um eine neue Ordnung werden. Bezeichnenderweise umfasst das Wort Gewalt im Deutschen sowohl die aggressive Störung der Ordnung (lat. ,violentia‘) als Mittel zur Gewinnung von Macht, wie die Macht (lat. ,potestas‘) selbst, also die (legitimierte, rechtmäßige) Handlungs- und Verfügungsmacht über Personen und Sachen.

Das Verhältnis von ,violentia‘ und ,potestas‘ ist kultur- und gesellschaftshistorisch abhängig von der jeweiligen politischen Herrschaft, der normativen Gewalt des jeweils gültigen Rechts, von den vorherrschenden sozialen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Systemen und ihren Zwängen und nicht zuletzt von vorherrschenden Vorstellungen von Gottes- und Naturgewalt. Im Zusammenspiel dieser ,Gewalten‘ konstituieren Diskursgemeinschaften ihre ideologischen Welterklärungsmodelle, ihre Legitimierungs- und Sinnstiftungssysteme und damit ihren Umgang mit Macht und Gewalt. Der jeweilige Aushandlungskonsens bestimmt, ob Gewaltaufrufe im Diskursuniversum der jeweiligen Gruppe akzeptiert und wie sie in der sozialen Praxis zu bewerten sind.

Während rechtsförmlich erklärte Kriege als legitimierte Mittel der Macht (,potestas‘) gelten, zählen Aufrufe, die gegen die Macht selbst gerichtet sind, wie der Tyrannenmord, der Sturm auf die Bastille oder der Maschinensturm, als unrechtmäßige Gewalt (,violentia‘). Doch ohne solche Gewalttaten, so wird argumentiert, hätten entscheidende Umschlagsmomente sozialen und politischen Fortschritts nicht stattgefunden. So einleuchtend dies sein mag, genau diese Erfahrung wird zum Kalkül (,Der Zweck heiligt das Mittel‘) und somit zum Argument, das sich nicht zuletzt auch politische Systeme zu Eigen machen. Mit Repression und Gewaltaufrufen mobilisieren die Regierenden ihre Anhängerschaft, lenken von eigenem Regierungsversagen ab, machen die Regierten zur Opfer- und Tätergemeinschaft und begründen eine Herrschaft der Angst. Ist ein Gewaltaufruf legal eingebettet, gar institutionalisierte Praxis einer bestimmten Herrschafts- und Rechtsgewalt, wie viele Beispiele des nationalsozialistischen Regimes es vor Augen führen, so bleibt er zumindest so lange straffrei, wie diese Gewalt an der Macht ist (siehe unten Beispiel 1).

Gewaltaufrufe markieren aber auch immer wieder Konfliktsituationen, in denen Herrschafts- und Sinnstiftungssysteme ihre normative Kraft, vielleicht auch nur ihre Selbstverständlichkeit verlieren, in denen sie angegriffen und diskursiv neu verhandelt werden. Dies gilt im Individuellen wie im Kollektiven. Konflikte befördern den gesellschaftlichen Fortschritt:

Es sind die moralisch motivierten Kämpfe sozialer Gruppen, ihr kollektiver Versuch, erweiterten Formen der Anerkennung institutionell und kulturell zur Durchsetzung zu verhelfen, wodurch die normativ gerichtete Veränderung von Gesellschaften praktisch vonstattengeht“ (Honneth 1992/2003: 149; vgl. auch 227 f.)

Gewalt als Mittel der Wahl, so wird auch hier argumentiert, sei durch die Zwecke geheiligt, die ohne sie nicht erreicht werden können. Sie entlädt sich aufgrund eines Gefühls der Machtlosigkeit bzw. der „Erfahrung von Missachtung“ (ebd.). Gewaltaufrufe sind dann verbaler Bestandteil einer an sich nonverbalen Kommunikationsform, mit der „sich Handelnde Gehör verschaffen können. Wer etwa machtlos oder isoliert ist, macht mit Gewalt ein nicht negierbares Kommunikationsangebot“ (Becker 1995: 171). Das galt für die Sozialrevolutionäre des Bauernkriegs und gilt für den modernen Amokläufer.

Dass dieses Angebot seine eigene soziale Logik hat und sich die Gewalt der Unzufriedenen nicht notwendigerweise auch gegen die wahren Verantwortlichen richtet, belegen Gewaltaufrufe und damit erfolgreich initiierte Gewaltakte, die seit Jahrhunderten immer wieder gegen Randgruppen gerichtet sind. Kommt es zur Transformation ungelöster sozialer oder sogar privater Probleme in öffentlichen Angelegenheiten, werden nicht selten ,Sündenböcke‘ geschaffen und zum Angriffsziel erhoben. Die eigentlichen Verursacher der Unzufriedenheit bleiben unberührt. Sind die Ursachen zu komplex und zu undurchschaubar, die Verursacher zu weit weg bzw. unantastbar, steigt die Affinität zu Weltverschwörungstheorien und besonders zu Gewaltaufrufen gegen Minderheiten. Es erfolgt eine Aggressionsverschiebung und schließlich die Aggressionsentladung.

Die vielen antijudaistischen wie antisemitischen Pogrome der Geschichte bezeugen dies. Ihr Beispiel offenbart drei weitere Eigenschaften von Gewaltaufrufen:

  1. Hass und Hetze, speziell Gewaltaufrufe fegen nicht erst im Zeitalter von Internet und Social Media wie Lauffeuer durch das Land.
  2. Jeder kann zum initiativen Gewaltausrufer werden, unabhängig von Autorisierung und sozialem Status, sofern sein Appell auf einen narrativ, im Diskurs vorbereiteten Boden trifft (siehe unten Beispiel 2).
  3. Die ,Effektivität / Wirksamkeit‘ von Hetze und Gewaltaufrufen hängt von der Einbettung in einen aufbereiteten Diskurs- und Resonanzraum ab.

Konstitution von Gewaltaufrufen und Einbettung in soziale Diskurs- und Resonanzräume

Es reicht nicht, in Imperativsätzen wie Kreuzige ihn! oder Kill her! zu sprechen oder aufpeitschende Lieder zu singen (Ça ira!). Selbst in totalitären Regimen muss die anvisierte Gewalt argumentativ begründet und das Opfer diskursiv zum Feindbild ertextet werden. Erst dann werden die mit dem Gewaltaufruf verbundenen Handlungsimperative: Verstumme!, Verschwinde!, Gehorche! gehört und umgesetzt. Gewaltaufrufe sind regelmäßig in bestimmte politische, nationalistische, religiöse, rassistische sowie soziale Narrative eingebettet. Erst mit ihrer Hilfe kann die soziale Welt in ‚gut‘ und ‚böse‘ polarisiert, der Gruppe der zu Unrecht Angegriffenen, der Freunde, eine Gruppe der Feinde gegenübergestellt werden. Auf der Basis tradierter Stereotype, spontan kolportierter Gerüchte, bewusster Missinformationen oder Falschbehauptungen (,Fake News‘) bzw. mithilfe von einseitigen Fokussierungen oder Verzerrungen werden Skandale, Bedrohungen oder Untaten inszeniert, die beseitigt oder gerächt werden müssen, um die gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen. Wer auf einen so begründeten Gewaltaufruf antwortet, hat nicht selten die Vorstellung, sich in seiner eigenen Gruppe hervorzutun, zum wichtigen Teil eines großen, erhabenen Ganzen zu werden und sei es dadurch, dass er sich zum Märtyrer oder Helden stilisiert. Besonders wenn der Aufruf auf eine ganze Gruppe gerichtet ist, muss das Narrativ so aufgebaut sein, dass es das Potential zur emotionalen Ansteckung freisetzt. Die Emotionalisierung verstärkt nicht nur die mediale Verbreitung, sondern überbrückt auch den Hiat vom Wort zur Tat. Indem man dem anvisierten Opfer z. B. durch Metaphern jegliche Moral oder Kultur aberkennt, es zum Verbrecher, Ketzer oder Teufel erklärt oder ihm soziale (,schmarotzende‘) Übervorteilung nachsagt, indem man ihm gar das Menschsein abspricht und ihn zur krankheitserregenden Gefahr pathologisiert, schürt man Emotionen wie Hass, Neid, Angst, Ekel und forciert die Bereitschaft zur körperlichen Gewalttat (ausführlich dazu: Lobenstein-Reichmann 2021: 288). Der Genozid in Ruanda 1994 wurde nicht umsonst von den Hutu als Operation Insecticide bezeichnet. Je erfolgreicher die Emotionalisierung, je eingeschworener die Hassgemeinschaft, je gefestigter der Gruppenzwang und je ideologischer der geschaffene Resonanzraum ist, desto weniger explizit muss der Gewaltaufruf sein, um verstanden und umgesetzt zu werden. Implizite Gewaltaufrufe beginnen mit einer im Ausruf mitgegebenen Deontik (Gebrauchsanweisung), z.B. einer ausgrenzenden, schon im Namen verächtlich machenden Benennung (Teufel, Ratte), die geradezu nach Lösung des damit konstituierten Problems heischen; sie können aber auch aus einer subtilen Argumentation hergeleitet werden, die nur von den Eingeweihten verstanden wird (siehe unten Beispiel 3).

Halbgar verschleierte Gewaltaufrufe, die sich am Rande der Strafbarkeit bewegen und die man dann angeblich nie so gesagt, zumindest nicht so gemeint hat, haben systematisch Methode bei populistischen Akteuren und dienen der skandalisierenden Selbstinszenierung. Doch Verschleierungen dieser Art stehen letztlich auch für eine Diskurswelt, in der Gewaltaufrufe strafbar sind. Inwiefern Trumps Äußerung im Januar 2021 vor dem Kapitol in Washington ein Gewaltaufruf war, werden die Gerichte der USA oder vielleicht auch nur die zukünftige Geschichtsschreibung entscheiden. Der Appell Stop the steal oder der Satz We will never give up legen auf jeden Fall Zeugnis dafür ab, dass man zwischen Hetze und Gewaltaufruf kaum unterscheiden kann, und dass die zur Gewalt aufrufenden Aggressoren meistens nicht bereit sind, sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Sie hetzen, stacheln andere zur Gewalt an und delegieren damit nicht nur die Tat, sondern auch die Verantwortung. Dies gilt nicht nur für twitternde Präsidenten, sondern für jede Hetze und jeden Gewaltaufruf in den modernen sozialen Medien, in denen die Aggressionsentladung auf der Basis von Anonymität und verweigerter kommunikativer Regresspflicht geschieht.

Wenn die Diskurgemeinschaft sozial und wirtschaftlich stabil ist, die nötige emotionale Bereitschaft (noch) fehlt, die Zeit (noch) nicht reif oder die Unzufriedenheit (noch) nicht groß genug ist, können Gewaltaufrufe ins Leere gehen. Ob ein Gewaltaufruf umgesetzt wird, liegt im Ermessen der Angesprochenen. Das Tribunal der Öffentlichkeit kann ihn beschleunigen oder verstärken, ihn aber auch abmildern oder gar zurückweisen. Die Antwort jedes einzelnen Adressaten, jedes potentiell Ausführenden lässt sich nicht programmieren. Das zeigt das Beispiel des Pariser Kommunarden Louis Auguste Blanqui, dessen Aufstands- und Gewaltaufrufe im Jahre 1870 dreizehnmal ungehört blieben. Selbst seiner Verhaftung sah man noch stumm zu. Erst drei Wochen später nach der verlorenen Schlacht von Sedan erhoben sich die Franzosen, um Napoleon III. zu stürzen (vgl. Gurr 1972: 220). Letztlich sind Gewaltaufrufe kommunikative Akte und noch nicht die von ihnen anvisierte Gewalt selbst. Im Unterschied zu körperlichen Gewaltakten, die einem unmittelbar widerfahren, bleibt die Antwort und damit auch die Verantwortung beim Angesprochenen. Ist er bereit, mit dem anderen im Gespräch zu bleiben und die Narrative, die die Gewaltaufrufe begleiten, die Fake News und Gerüchte zu entlarven oder gar die Motive des Ausrufers zu hinterfragen, sie sprachlich zu entemotionalisieren und abzurüsten, so ist er mitten in der Gegenrede, der wirksamsten Waffe gegen Gewaltaufrufe. Reicht das nicht, so hilft wohl nur noch, was Wolfgang Borchert (1986: 318) nach dem 2. Weltkrieg forderte:Dann gibt es nur eins! Sagt NEIN!“

Beispiele

(1) Gewaltaufruf der Macht: Nationalsozialismus

Nach dem Reichstagsbrand 1933 konnte man auf den Litfaßsäulen folgendes Wahlplakat der NSDAP lesen:

Abb. 1:	Originaltitel: „Der Reichstag in Flammen! / Von Kommunisten in Brand gesteckt!“, Datierung: 1933.
Abb. 1: Originaltitel: „Der Reichstag in Flammen! / Von Kommunisten in Brand gesteckt!“, Datierung: 1933.

Das Plakat steht exemplarisch für explizite, von einer Regierungsmacht initiierte, politisch motivierte Gewaltaufrufe, die den Gegner maximal auszuschalten versuchen. Ein tatsächliches oder konstruiertes Gewaltereignis wird dazu genutzt, einen bedrohlichen Verteidigungsfall zu inszenieren. Schuld und Verantwortung für die dann notwendig gewordene ,Gegen‘gewalt wird dem vermeintlichen Aggressor zugeschrieben, während man selbst nur aus Notwehr handelt. Das Wahlplakat arbeitet unverblümt mit direkten Imperativen, macht die Bevölkerung zum Schergen der eigenen Aggressionspolitik und somit zum Mittäter in einer Verantwortungsgemeinschaft. Es spielt offen mit den möglichen Lesarten (Polyphonie, vgl. dazu Maas 1984: 11). Für den SA-Mann war es ein klarer Befehl, mit dem nicht nur seine Gefolgschaft und seine Gesinnung bestätigt, sondern auch seine möglicherweise noch auszuführenden Gewalttaten gerechtfertigt wurden. Während Kommunisten und Sozialdemokraten erfuhren, dass man sie kriminalisierte und mit dem Schlimmsten bedrohte, weshalb sie am besten das Land verlassen sollten, wurde der noch Unschlüssige gegen diese Parteien aufgehetzt und gezwungen, sich zu entscheiden, auf welcher Seite er in Zukunft stehen möchte. Die meisten Leser entschieden sich zum Schweigen, um weder das eine noch das andere zu sein. Im zeithistorischen Kontext ist dieser Gewaltaufruf selbst Ausdruck performativer Gewalt, da man ihm nur unter allergrößter Gefahr widersprechen konnte. Er ist außerdem Ausdruck einer Gesellschaft, in der die verbale Androhungsgewalt nicht nur auf Wahlplakaten zur politischen Kultur gehörte. Gewaltaufrufe waren als Mittel zur politischen Auseinandersetzung eingeführt, akzeptiert und wurden bekanntermaßen von der Herrschaftsgewalt der Nationalsozialisten schließlich auch formal legal in Tatgewalt umgesetzt. Eine der vielen Funktionen, besonders der als Notwehr deklarierten Gewaltaufrufe bestand somit darin, die Akzeptanz von Gewalt wie die aktive Gewaltbereitschaft in die eigene Gefolgschaft einzuschreiben und so die Mittäterschaft des Publikums herbeizuführen. Ist einmal eine Schuldgemeinschaft entstanden, ist es schwer die Spirale der Gewalt zurückzudrehen.

(2) Judenpogrome

Auf der Basis sozialer Unzufriedenheit und eingebettet in einen sich verschärfenden Antijudaismusdiskurs löste der Röttinger Metzger Rintfleisch im Jahre 1298 die nach ihm bezeichnete Rintfleischverfolgung aus, bei der wohl 5000 Juden getötet wurden. Innerhalb kürzester Zeit hatte das Gerücht eines vermeintlichen Hostienfrevels die Gewalt ausgelöst, religiös legitimiert und epidemisch von Franken nach Hessen und Thüringen verbreitet. Nicht weniger blutig waren die Hep-Hep Krawalle 1819. Angestachelt durch zweifelhafte Pressemeldungen nahmen sie im August 1819 von Würzburg über Kleve bis nach Königsberg ihren Lauf. In wenigen Wochen wurde vielerorts im Reich mit der Parole gehetzt: „Hep-Hep! Jud‘ verreck!“ (Lobenstein-Reichmann 2013: 198; 2021: 277).

(3) Donald Trump, Hillary Clinton und die Waffengesetze

In der schon erwähnten Wahlkampagne 2016 behauptete Donald Trump, Hillary Clinton wolle das amerikanische Verfassungsrecht auf privaten Waffenbesitz abschaffen. Er sagte: „Wenn sie die Richter auswählen kann, könnt ihr nichts machen, Leute. Obwohl die Unterstützer des zweiten Verfassungszusatzes – vielleicht doch, ich weiß nicht“ (Victoria Applegate 2016). Dem Vorwurf, seine Anhänger mit diesen Worten zum bewaffneten Angriff gegen Hillary Clinton und die liberalen Richter aufgehetzt zu haben, begegnete er mit der Ausrede, er habe die „Verteidiger des zweiten Verfassungszusatzes“, der das Recht zum privaten Waffengebrauch garantiert, nur dazu aufgefordert, „sich zusammen[zu]tun und wählen [zu] gehen“ (Victoria Applegate 2016).

Literatur

Zum Weiterlesen

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2013): Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin; Boston. De Gruyter.

Zitierte Literatur

  • Becker, Dirk (1995): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

  • Borchert, Wolfgang (1986): Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt.

  • Graetz, Heinrich (1863/1900): Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig; Wien: O. Leiner.

  • Gurr, Ted R. (1972): Rebellion. Eine Motivationsanalyse von Aufruhr, Konspiration und innerem Krieg. Düsseldorf: Econ.

  • Hagenmeyer, Heinrich (Hrsg.) (1890): Anonymi gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum. Heidelberg: C. Winter.

  • Honneth, Axel (1992/2003): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Mit einem neuen Nachwort. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2013): Sprachliche Ausgrenzung im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin; Boston. De Gruyter.

  • Lobenstein-Reichmann, Anja (2021): Vom Antijudaismus zum Antisemitismus – Ein diskursanalytischer Rückblick am Beispiel von Hugo Bettauers Stadt ohne Juden. In: Bär, Jochen A. (Hrsg.): Jahrbuch für Germanistische Sprachgeschichte 11. Berlin; Boston: De Gruyter, S. 264–293.

  • Maas, Utz (1984): „Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand“. Sprache im Nationalsozialismus. Versuch einer historischen Argumentationsanalyse. Opladen: Westdeutscher Verlag.

  • Victoria Applegate (YouTube-Kanal) (2016): Donald Trump on Hillary Clinton, Wilmington, NC, 8/9/16. URL: https://www.youtube.com/watch?v=EcxkkrNSv-4
    URL: https://www.youtube.com/watch?v=EcxkkrNSv-4 ; Zugriff: 05.09.2021. [Transkribiert und übersetzt]

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 1: NSDAP (1933): Der Reichstag in Flammen! / Von Kommunisten in Brand gesteckt! Copyright: bpk / Deutsches Historisches Museum / Arne Psille.

Zitiervorschlag

Lobenstein-Reichmann, Anja (2021): Gewaltufruf. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 13.12.2021. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/Gewaltaufruf.

Grundbegriffe

Diskurskompetenz

Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.

Agenda Setting

Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.

Medien

Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.

Macht

Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.

Normalismus

Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.

Wissen

Kollektives Wissen von sozialen Gruppen ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel strategischer Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Es wird geprägt durch individuelle Erfahrung, aber auch in Diskursgemeinschaften kommunikativ geteilt – vor allem im Elternhaus, in Peergroups und Bildungseinrichtungen sowie durch Medienkonsum.

Werbung

Werbung ist ein Kommunikationsinstrument von Unternehmen, das der Positionierung im Markt dient und je nach Situation des Unternehmens auf Einführung, Erhalt oder Ausbau von Marktanteilen und damit letztlich auf ökonomischen Gewinn abzielt.

Mediale Kontrolle

Medien werden vielfältig zur Durchsetzung von Macht verwendet. So in der Zensur, wenn eine politische Selektion des Sagbaren und des Unsagbaren stattfindet; in der Propaganda, wenn eine Bevölkerung von den Ansichten oder wenigstens der Macht einer bestimmten Gruppe überzeugt werden soll; oder in der Überwachung, die unerwünschtes Verhalten nicht nur beobachten, sondern unwahrscheinlich machen soll.

Freund- und Feind-Begriffe

Freund-, Gegner- und Feindbegriffe sind Teil der Politischen Kommunikation. Sie bilden die Pole eines breiten Spektrums von kommunikativen Zeichen, mit denen politische Akteure sich selbst und ihre politischen Gegner im Kampf um beschränkte Ressourcen auf dem diskursiven Schlachtfeld positionieren.

Sprachpolitik / Sprachenpolitik

Sprachpolitik bezeichnet allgemein alle politischen Prozesse, die auf eine Beeinflussung der Sprachverwendung in einer Gesellschaft oder Sprachgemeinschaft abzielen. Unterschieden wird häufig zwischen Sprachenpolitik und Sprachpolitik im engeren Sinne.

Techniken

Offener Brief

Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.

Kommunikationsverweigerung

Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.

Flugblatt

Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.

Passivierung

Unter Passivierung versteht man die Formulierung eines Satzes in einer grammatischen Form des Passivs. Das Passiv ist gegenüber dem Aktiv durch die Verwendung von Hilfsverben formal komplexer. Seine Verwendung hat unter anderem zur Folge, dass handelnde Personen im Satz nicht genannt werden müssen, was beispielsweise in Gesetzestexten für eine (gewünschte) größtmögliche Abstraktion sorgt („Niemand darf wegen seines Geschlechts […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Art. 3 GG).

Aufopferungs-Topos

Als Aufopferungs-Topos wird in der Diskursforschung ein Argumentationsmuster bezeichnet, das zwei strategische Funktionen erfüllen kann: einerseits kann es dazu dienen, mit der Behauptung eines besonderen Ressourceneinsatzes (z.B. Einsatz von Geld, Zeit oder emotionaler Belastung) einen hohen Achtungswert für eine Person, eine Sache bzw. für ein Ziel zu plausibilisieren. Andererseits können Akteure besondere Privilegien (wie z.B. Wertschätzung, Entscheidungsbefugnisse und Mitspracherechte) reklamieren, wenn sie sich für eine bereits in der sozialen Bezugsgruppe hochgeschätzte Sache engagieren.

Opfer-Topos

Als Opfer-Topos bezeichnet man eine diskursive Argumentationsstrategie, bei der sich Akteure als ‚Opfer‘ gesellschaftlicher Urteilsbildung inszenieren und damit eigene Interessen – vor allem Aufmerksamkeit und Berücksichtigung von Bedürfnissen – geltend zu machen versuchen.

Analogie-Topos

Der Analogie-Topos zählt zu den allgemeinen bzw. kontextabstrakten Argumentationsmustern, die genutzt werden können, um für oder gegen eine Position zu argumentieren. Analogie-Topoi werden von verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen strategisch eingesetzt, um eine zustimmende Haltung bei den Zielgruppen zu bewirken.

Topos der düsteren Zukunftsprognose

Der Topos der düsteren Zukunftsprognose beschreibt ein Argumentationsmuster, bei dem eine negative, dystopische Zukunft prognostiziert wird. Dabei wird auf die drohenden Folgen einer Krise oder einer allgemeinen Gefahr verwiesen, aus der eine negative Zukunft bei falschem Handeln resultieren wird.

Negativpreis

Ein Negativpreis ist eine Auszeichnung an Personen oder Organisationen (meist Unternehmen), die sich oder ihre Produkte positiv darstellen und vermarkten, ihre Versprechen aus Sicht des Preisverleihers allerdings nicht einhalten. Dabei dient der Preis durch seine Vergabe vor allem dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, mediale Präsenz auf ein Thema zu lenken und den Preisträger in seinem moralischen Image zu beschädigen.

Be-/Überlastungs-Topos

Der Be-/Überlastungstopos ist ein Argumentationsmuster, das vorwiegend in der politischen Kommunikation eingesetzt wird. Als zu vermeidende Konsequenz einer konkreten Situation wird mit dem Be-/Überlastungstopos ein Be- bzw. Überlastungs-Szenario skizziert.

Schlagwörter

Verfassung

Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.

Toxizität / das Toxische

Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.

Zivilgesellschaft

Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.

Demokratie

Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.

Plagiat/Plagiarismus

Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.

Fake News

Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.

Lügenpresse

Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.

Antisemitismus

Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.

Grammatiknazi / Grammar Nazi

Das überwiegend negativ konnotierte Schlagwort Grammatiknazi – als Übersetzung von engl. grammar nazi – wird zur Benennung von Personen verwendet, die meist in eher informellen Kontexten der öffentlichen Internetkommunikation (u. a. in Foren, Kommentarbereichen auf Nachrichtenportalen, sozialen Netzwerken) ungefragt Sprachkritik an den Äußerungen anderer (häufig fremder) Kommunikationsteilnehmer*innen üben.

Respekt

Respekt oder respektvolles Verhalten wird eingefordert für die Eigengruppe (bzw. von der Eigengruppe), für wirklich oder vermeintlich diskriminierte Gruppen, für abweichende Meinungen. Mitgemeint ist bei der Forderung nach Respekt meist eine positiv bewertete Szene der (sozialen, kulturellen, ethnischen, sexuellen etc.) Vielfalt/Diversität.

Verschiebungen

Ökonomisierung

Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren

Moralisierung

Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.

Konstellationen

Skandal

Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.