DiskursGlossar
Nicht-Entschuldigen / Nonpology
Kategorie: Techniken
Verwandte Ausdrücke: Non-apology apology, Pseudo-Entschuldigung
Siehe auch: Öffentliches Bereuen, Entlarven, Skandal, Skandalisierung, Opfer-Topos, Epistemischer Status
Autor: Denis Gerner
Version: 1.0 / Datum: 18.11.2024
Kurzzusammenfassung
Das öffentlichkeitswirksame Entschuldigen ist eine grundlegende soziale und kulturelle Praktik und dient dazu, erfolgte oder behauptete Verletzungen rituell zu heilen. Dabei wird von einem Akteur medienwirksam um Entschuldigung für schadhafte Handlungen an den Opfern gebeten. Die Praktik der Nicht-Entschuldigung ist eine Form der inszenierten, strategischen öffentlichen Entschuldigung, die einer Entschuldigung ähnelt, von den rezipierenden Akteuren aber nicht als glaubhaft erachtet wird. Mit der Nicht-Entschuldigung verfolgen Diskursakteure verschiedene Ziele: sie wollen Ablenken von der eigenen Schuld, erhoffen sich eine Reputationsverbesserung durch vorgespielte Reue oder wollen (andere) negative Konsequenzen abwenden und sich in der Öffentlichkeit positiv als fehlereinsichtig und selbstkritisch darstellen. Nicht selten sind sie die Folge von Entschuldigungsforderungen, welche wiederum häufig selbst strategisch geäußert werden. Die Notwendigkeit, sich beim Opfer öffentlich zu entschuldigen, ergibt sich aus einem als schadhaft markierten Fehlverhalten, zu dem auch rein verbale Äußerungen (,Sprechhandlungen‘) gehören. Wann, ob und wie sich für Fehlverhalten entschuldigt werden kann, ist hochgradig von der ,Fehlerkultur‘ einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe abhängig.
Erweiterte Begriffsklärung
Die Nicht-Entschuldigung kann diskursiv als ein Handlungsmuster (Praktik) beschrieben werden, bei der eine öffentlichkeitswirksame Entschuldigung abgegeben wird, ohne dass für die Diskursakteure notwendige Bedingungen einer glaubhaften Entschuldigung erfüllt werden. Das Abgeben einer Nicht-Entschuldigung anstelle einer aufrichtigen Entschuldigung ist entweder zurückzuführen auf die fehlende Schuldeinsicht und/oder es wird in erster Linie ein strategisches Ziel verfolgt, etwa das eigene Ansehen zu verbessern und das Vertrauen bei einer Zielgruppe (wieder)herzustellen. In diesem Sinne kann eine Nicht-Entschuldigung als eine ,Pseudo-Entschuldigung‘ beschrieben werden, also als ,nur dem Schein nach eine Entschuldigung‘ (vgl. Eisinger 2011: 137).
Die strategische Funktion der Nicht-Entschuldigung ist vom Gebrauch als Schlagwort zu unterscheiden: Während der Ausdruck Nicht-Entschuldigung als Schlagwort im deutschen Sprachraum wenig geläufig ist, sind die englischen Ausdrücke Nonpology und Non-Apology vor allem im angelsächsischen Sprachraum verbreitet, finden sich in der englischen Form aber auch im deutschen Sprachraum vereinzelt wieder. Bei der Verwendung als Schlagwort geht es primär darum, die abgegebene Entschuldigung eines Diskursakteurs zurückzuweisen bzw. diese als unaufrichtig, unglaubhaft im Diskurs zu markieren und den Diskursakteur damit als moralisch zweifelhaft zu diskreditieren. Die mit dem Schlagwort verfolgte Meta-Strategie geht häufig mit der appellativen Forderung einher, zukünftige Kooperationen mit dem Akteur zu meiden, mindestens aber genau(er) zu prüfen (Kontaminationsvokabel).
Wann spricht man aber von einer Entschuldigung? Aus einer diskursanalytischen Perspektive ist es davon abhängig, was im Diskurs von den Diskursakteuren als Entschuldigung bewertet und akzeptiert wird. In der Literatur beschreibt beispielsweise MacLachlan vier konstitutive Elemente einer Entschuldigung (vgl. MacLachlan 2015: 443), die von Diskursakteuren als Voraussetzung für ein Entschuldigungsangebot erachtet werden. So muss aus Sicht der relevanten Akteure das Entschuldigungsangebot ein Bekenntnis dazu enthalten, dass
- die in Frage stehenden Handlungen, Maßnahmen oder Ereignisse ungerecht und schädlich waren;
- die durch die Handlungen Betroffenen Opfer der Handlungen, Maßnahmen oder Ereignisse geworden sind;
- der Entschuldigung-Anbietende als jemand erachtet wird, der sich für die schädlichen Handlungen verantwortet;
- sich der Entschuldigende von den Absichten, Praktiken oder Verfahren, die zu den schädlichen Handlungen geführt haben, distanziert und anerkennt, dass die Opfer Besseres verdienen.
Ergänzend stellt MacLachlan (vgl. 2015: 444) noch zwei weitere wichtige Elemente heraus, die in der Fachliteratur stellenweise ebenfalls als notwendige Marker für eine Entschuldigung diskutiert werden (vgl. hier z. B. Blatz et al. 2009 oder auch Eisinger 2011):
- die Absichtsbekundung des Entschuldigung-Anbietenden, sich zu bessern und das Angebot von Wiedergutmachung oder Entschädigung und
- eine Bekundung von negativen Gefühlen (Reue).
Dabei muss nicht jeder der vier bzw. sechs Punkte explizit gegeben sein. Fehlt aber einer oder mehrere der Punkte auch über die verschiedenen Instanzen des Entschuldigungsprozesses hinweg gänzlich, dann sei es nach MacLachlan zweifelhaft, ob überhaupt von einer Entschuldigung gesprochen werden könne oder nicht viel mehr von z. B. Ausreden suchen, Mitleid anbieten, sich entziehen/verweigern usw. (vgl. MacLachlan 2015: 444). Die Nicht-Entschuldigung beabsichtige, den Anschein einer glaubhaften Entschuldigung zu erwecken. Bei genauerem Hinsehen fehlen aber für die Diskursakteure entscheidende Elemente für eine glaubhafte und aufrichtige Entschuldigung. Lazare (zit. nach Eisinger 2011: 137) stellt dem insgesamt acht Charakteristika entgegen, die diskursiv für eine „Pseudo-Apology“ sprechen:
1) Eine vage und unvollständige Beschreibung des Fehlverhaltens;
2) der Einsatz des Passivs;
3) es werden Bedingungen aufgestellt;
4) die Schädigung des Opfers wird infrage gestellt;
5) der Schaden wird minimiert (,kleingeredet‘);
6) es wird sich empathisch (für die Gefühle des Opfers) entschuldigt;
7) die Entschuldigung adressiert andere, nicht das Opfer; oder
8) es wird sich für eine andere als die zur Verhandlung stehende Tat entschuldigt.
Auch die Strategie des sogenannten ,self victimizings‘ oder gesteigert die der ,Täter-Opfer-Umkehr‘ kann hier ergänzt werden (siehe hierzu auch Opfer-Topos). Dabei inszeniert sich der ,Entschuldigende‘ als Opfer oder macht gar das Opfer für die schädliche Handlung selbst verantwortlich.
Obschon diese Elemente relevant sind, um Nicht-Entschuldigungen zu identifizieren, lässt sich häufig nur retrospektiv – wenn überhaupt – eindeutig beantworten, ob eine Entschuldigung aufrichtig war, da z. B. erst im Laufe der Zeit erkennbar wird, ob der Akteur sein Handeln nachhaltig bereut und sein Verhalten dauerhaft anpasst. Ein wichtiger Indikator sind dabei die Rezipierenden und die Opfer, welche in der Anschlusskommunikation die Entschuldigung annehmen und damit ratifizieren oder ablehnen.
Da eine Entschuldigung je nach Diskursraum als persönliche Schwäche oder auch als mangelnde Durchsetzungsfähigkeit wahrgenommen werden kann, kann die Hemmschwelle, sich für Fehlverhalten zu entschuldigen, deutlich erhöht sein (vgl. hierzu Gast 2010: 4). Auf der anderen Seite könne derjenige, der sich entschuldigt, der Öffentlichkeit zwar punktuell seine Schuld eingestehen, „demonstriert jedoch zugleich die Fähigkeit zu Einsicht und Selbstkritik und zeigt sich damit als sozial kompatibler und moralisch vorbildlicher Akteur“ (Gast 2010: 6). Vor diesem Hintergrund ist es auch stets möglich, dass bereits das Fehlverhalten zu diesem Zweck geplant und die anschließende öffentliche (Nicht-)Entschuldigung einkalkuliert wurde (vgl. Gast 2010: 6) – zusammen mit der gesteigerten Medienaufmerksamkeit (Vergrößerung der Reichweite) und der Möglichkeit, sich selbst zu inszenieren sowie als strategisches Agenda Setting.
Die kulturelle Praktik des Entschuldigens folgt dabei nicht einfach moralischen Richtlinien, sondern ist auch eine Frage dessen, wie viel Macht z. B. ein Opfer besitzt, sich zu wehren.
Gast resümiert in seiner Interview-Studie mit Politikerinnen und Politikern zur Entschuldigungspraktik:
Eine Abbitte wird obligat, wenn der Einfluss des Opfers so hoch ist, dass es in der Lage ist, sich zu rächen und dem Angreifer somit großen Schaden zufügen kann. Umgekehrt heißt dies: Bei politisch weniger bedeutsamen Akteuren sind Entschuldigungen als eine Kann-Option einzustufen. (Gast 2010: 3 f.)
Gleichwohl kann durch den Einsatz von Social Media jedes Opfer potenziell einen Skandal herbeiführen, der eine Entschuldigung dann notwendig macht. Es ist davon auszugehen, dass auch die Antizipation des potenziellen Schadens durch das Fehlen einer Entschuldigung eine grundlegende Rolle spielt, wann und ob sich entschuldigt wird, aber natürlich auch wie ,laut‘ die Entschuldigungsforderungen sind. In dieser Logik einer Kosten-Nutzen-Rechnung werden Nicht-Entschuldigung angewandt, da eine (strategische) Nicht-Entschuldigung auch ohne umfängliches Schuldeingeständnis (welches sich für den Akteur nachteilig auswirken kann) auskommt. Diese ermöglicht es, die Schuld an andere auszulagern und kann gleichzeitig zu einer Beruhigung oder Entschärfung der Lage entscheidend beitragen. Andererseits ist das Risiko abzuwägen, dass im Falle der Entlarvung einer Nicht-Entschuldigung (d. h. wenn eine Entschuldigung diskursiv erfolgreich als Nicht-Entschuldigung markiert wird) ein (noch größererer) Imageverlust drohen könnte. Insbesondere in der Politik gilt: setzen sich Deutungen einer unechten, unvollständigen oder unehrlichen Entschuldigung durch, kann das Vertrauen zwischen den Regierenden und den Regierten stark beschädigt werden (vgl. hierzu Eisinger 2011: 136). Gleichwohl legt eine von Eisinger zitierte Studie (vgl. Eisinger 2011: 138), in der die Statements von 32 Senatsabgeordneten zwischen 1900 und 2000 im Rahmen eines Disziplinarverfahrens untersucht wurden, nahe, dass Nicht-Entschuldigungen oder die Verweigerung einer Entschuldigung im politischen Betrieb eher die Regel als die Ausnahme sind.
Eine besondere Relevanz haben Nicht-Entschuldigungen im Recht. Eine Entschuldigung geht in vielerlei Hinsicht mit einem Schuldeingeständnis einher: Schon 2005 moniert Cohen, gängige Verteidigungsstrategien in Rechtsverfahren in den USA zielten darauf ab, grundsätzlich alles abzustreiten (,denial‘), was die Gegnerseite nicht eindeutig beweisen könne. Finanziellen Schaden am Mandanten abzuwenden, habe dann die höchste Priorität, unabhängig von dem dadurch erzeugten zusätzlichen psychologischen und moralischen Schaden am Opfer (vgl. Cohen 2005: 248 f.). Cohen sieht hier in den kulturellen und systemischen Rahmenbedingungen ein Problem, welche die Verweigerung einer Entschuldigung – vor allem ökonomisch – begünstigen (vgl. Cohen 2005: 252 f.). In diesem Sinne verweigern sich auch große Unternehmen regelhaft einer Entschuldigung oder setzen strategisch Nicht-Entschuldigungen ein, um sich der Verantwortungsübernahme und möglichen Schadensersatzansprüchen zu entziehen. Im deutschen Strafrecht kann demgegenüber eine für das Gericht glaubhafte Entschuldigung mit Schuldbekenntnis strafmildernd sein (vgl. z. B. HNA 2015).
Öffentlich abgegebene Entschuldigungen und damit auch Nicht-Entschuldigungen sind damit grundsätzlich bei allen Diskursakteuren beobachtbar: von einer Entschuldigung/Nicht-Entschuldigung eines Gastwirts auf Facebook wegen einer verbalen Entgleisung, über Abgeordnete im Bundestag bei einer liveübertragenen Pressekonferenz, bis hin zu international agierenden Ölunternehmen. Damit einher geht auch der unterschiedliche Professionalisierungsgrad: Während der Gastwirt tendenziell für sich selbst eintritt, so sind es bei internationalen Großunternehmen ganze PR- und Rechtsabteilungen, die sich hochprofessionalisiert der Öffentlichkeitsarbeit/PR widmen und auch die Reden vorbereiten.
Es gibt einige wiederkehrende sprachliche Realisierungsformen von Nicht-Entschuldigungen, die sich beobachten lassen. Auf der Mehrwort-Ebene haben sich Phrasen etabliert, die als prototypisch für das Nicht-Entschuldigen erachtet werden können und auch bei den Diskursakteuren als solche markiert sind:
(1) Es wurden Fehler gemacht; es wurden Maßnahmen ergriffen
(2) Wenn sich jemand durch meine Äußerung…
(3) … bei denen, die sich durch … verletzt gefühlt haben
Während bei (1) weder genau gesagt wird, worin der Fehler genau besteht, noch von wem der Fehler gemacht wurde, wird bei (2) ein Bedingungssatz dem Hauptsatz vorangestellt (,Konditionalgefüge‘). Diese Wenn-Formulierungen erlauben grundsätzlichen Zweifel, ob eine Verletzung stattgefunden habe, was ein eindeutiges Schuldbekenntnis konterkariert. Häufig lässt sich wie bei (3) beobachten, dass sich für verletzte Gefühle entschuldigt wird, nicht aber für das schadhafte Verhalten.
Auf der grammatischen Ebene lässt sich der Einsatz vom Passiv beobachten: So werden Passiv-Konstruktionen verwendet, die es ermöglichen, das Agens [den Handlungsträger, hier: der ,Täter‘] aus dem Fokus zu nehmen oder gänzlich verschwinden zu lassen (vgl. Paul schlägt Peter [aktiv, Agens-Akzentuierung]; Paul wird von Peter geschlagen [passiv; Objekt-Akzentuierung]; Paul wird geschlagen [passiv mit Agens-Deletion/Täterverschleierung]; siehe hierzu Passivierung). So lässt sich auch in Entschuldigungen der ,Täter‘ bzw. Urheber einer Handlung durch solche Passiv-Konstruktionen verschleiern, wie in Satz (1).
Auf der lexikalischen Ebene (Wortebene) ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, Entschuldigungen zu modifizieren:
(4) Es ist schon so, dass ich versucht habe…
(5) Die eigentliche Absicht war…
(6) Es tut mir fürchterlich/wirklich leid
Besonders interessant sind hierbei Adjektive, Adverbien und Partikel. So wird bei (4) ein ,Downvoter‘ genutzt. Dabei handelt es sich zumeist um Abtönungspartikel wie bloß, eben, schon, wohl, um die Stärke einer Aussage abzuschwächen oder potentielle Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit zu antizipieren. Ähnlich funktionieren auch Heckenausdrücke (vor allem Adjektive und Adverbien) wie bei (5), mit denen eine eindeutige Kategorisierung, hier der Absicht, relativiert wird. Intensivierer wie bei (6) werden eingesetzt, um einer Rede Emphase zu verleihen, d.h. sie sollen den Ausdruck von Reue bekräftigen (eine ausführlichere Liste hierzu findet sich bei Strübbe 2005: 105 f.).
Ausgehend von den angeführten Überlegungen zur Entschuldigungspraktik und der Nicht-Entschuldigung als Strategie lassen sich auch einige Gegenstrategien ableiten. Zum einen ist hier das Skandalisieren zu nennen: Wenn sich für eine kritische Masse überzeugend darlegen lässt, eine Entschuldigung sei unaufrichtig oder es werde sogar versucht, anderen die Schuld zuzuweisen, kann die Nicht-Entschuldigung öffentlich gezielt entlarvt und skandalisiert werden. In Abhängigkeit von Art und Schwere der ‚Schuld‘ drohen dem Akteur dann Sanktionen: Die Zusammenarbeit kann beendet werden, bei Unternehmen wird z. B. auf den Kauf ihrer Produkte verzichtet, bei Politikerinnen und Politikern auf die Wiederwahl, um so auch den Druck auf eine für die Akteure akzeptable Entschuldigung zu erhöhen. Diskurskompetenz ist hierbei eine wichtige Voraussetzung, um manipulative Absichten besser erkennen und abgegebene Entschuldigungen hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit kritisch einordnen zu können.
Beispiele
(1) Nicht-Entschuldigung von Friedrich Merz nach „Sozialtourismus“-Aussage (2022)
In einem Interview mit Bild TV warf Friedrich Merz ukrainischen Geflüchteten Sozialtourismus vor, also zwischen der Ukraine und Deutschland hin und herzupendeln, um Sozialleistungen zu erschleichen (BILD 2022). Merz‘ Aussage wurde in den Medien und in der Politik stark kritisiert. Im folgenden Tweet reagiert Merz auf die Kritik:
Abb. 1: Twitter/X (2022): Tweet von Merz zu „Sozialtourismus“.
Im ersten Teil des Tweets schreibt Merz, er bedauere die Verwendung des Wortes. Statt um Entschuldigung zu bitten, wird Bedauern als Emotion angeboten. Das Fehlverhalten wird nicht klar benannt, sondern auf eine unzutreffende Beschreibung eines beobachteten Problems reduziert (,kleingeredet‘) – inhaltlich wird die Aussage damit nicht widerrufen und im zweiten Teil wird sie zu einem Hinweis, auch thematisch (mangelnde Registrierung), umgedeutet. Schließlich wird sich empathisch für die Gefühle der Opfer entschuldigt, aber auch hier nur unter der Bedingung erfolgter Verletzung (wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird). Zusammen mit später getätigten Aussagen wie zu Zahnarztbesuchen von abgelehnten Asylbewerbern (vgl. WELT 2023) kann angenommen werden, dass das Fehlverhalten mit anschließender Nicht-Entschuldigung oder Entschuldigungsverweigerung als übergeordnete und kalkulierte Strategie fungierte.
(2) Statement zu Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger (2023)
Die Süddeutsche warf dem bayerischen Staatsminister Hubert Aiwanger vor, in den 1980er Jahren als Schüler ein Flugblatt mit menschenverachtendem und antisemitischem Inhalt verfasst zu haben (vgl. Süddeutsche 2023). Aiwanger selbst wies zurück, es geschrieben zu haben, räumte aber ein, er habe wenige Exemplare besessen. Schaut man sich das Statement im Wortlaut an, fallen auch hier zahlreiche Elemente einer Nicht-Entschuldigung auf. So die zu Beispiel 1 analoge Entschuldigung unter der Bedingung, Gefühle seien verletzt worden:
Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe. (RND 2023)
Problematisieren lässt sich, wie die eigene Schuld nicht klar benannt wird. So heißt es eingangs im Statement: Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht. Worin die Fehler genau bestehen sollen, bleibt durchweg eine Nebelkerze. Bevor Aiwanger wiederholt im Statement darauf hinweist, er habe das Pamphlet nicht verfasst, leitet er ein mit Die genannten Vorwürfe liegen 36 Jahre zurück, wodurch die Problematik kleingeredet wird und die folgenden ,Gedächtnislücken‘ implizit untermauert werden sollen:
Die Vorwürfe haben mich erschreckt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze kann ich aus meiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form. (RND 2023)
Auch in diesem Absatz wird die These bestärkt, dass ein klares Bekenntnis zur Schuld als wesentliches Kriterium einer aufrichtigen Entschuldigung nicht vorliegt. Im letzten Schritt inszeniert sich Aiwanger selbst wiederum als Opfer:
Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden. Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden. (RND 2023)
Insgesamt gesehen blieben Skandalisierungsbemühungen und Rücktrittsforderungen gegen Aiwanger ergebnislos. In zahlreichen Medien wurde das Statement wenig kritisch als „Entschuldigung“ rezipiert (vgl. RND 2023 oder auch Tagesschau 2023), was auch auf die mangelnde Sensibilität, insbesondere auch der Medien, gegenüber Diskursstrategien wie der Nicht-Entschuldigung hinweist.
Literatur
Zum Weiterlesen
-
Strübbe, Karina (2018): Politische Entschuldigungen: Theorie und Empirie des sprachlichen Handelns. Wiesbaden: Springer VS.
Zitierte Literatur
- BILD (2022): Merz beklagt „Sozialtourismus“ durch ukrainische Flüchtlinge | Friedrich Merz | Die richtigen Fragen. YouTube. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=6HvV-RaVMHA ; Zugriff: 19.02.2024.
- Blatz, Craig W.; Schumann, Karina; Ross, Michael (2009): Government Apologies for Historical Injustices. In: Political Psychology, Jg. 30 Heft 2, S. 219–241.
- Cohen, Jonathan R. (2005): The Culture of Legal Denial. In: SSRN Scholarly Paper. Online unter: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1612769 ; Zugriff 22.01.2023.
- Eisinger, Robert M. (2011): The Political Non-Apology. In: Society, Jg. 48 Heft 2, S. 136–141.
- Gast, Henrik (2010): Wann und wie sich Politiker entschuldigen – Zur Sprachpraxis der Versöhnung. In: FRP Working Papers, Nr. 5, S. 136–141.
- MacLachlan, Alice (2015): “Trust Me, I’m Sorry”: The Paradox of Public Apology. In: The Monist, Jg. 98 Heft 4, S. 441–456.
- RND (2023): ‚Ich soll fertiggemacht werden‘: Aiwanger weist Vorwürfe weiter zurück – aber entschuldigt sich. In: RND.de. Online unter: https://www.rnd.de/politik/flugblatt-affaere-hubert-aiwanger-weist-vorwuerfe-weiter-zurueck-SVGY3Z3SOZAXJHRHJ2FVV2OMLU.html ; Zugriff: 22.01.2023.
- RND (2023): Hubert Aiwanger: Statement zur Flugblatt-Affäre im Wortlaut. In: RND.de. Online unter: https://www.rnd.de/politik/hubert-aiwanger-statement-zur-flugblatt-affaere-im-wortlaut-HTRDZU6J3BFSVL76W5CXYJUK5M.html ; Zugriff: 22.01.2023.
- Strübbe, Karina (2018): Politische Entschuldigungen: Theorie und Empirie des sprachlichen Handelns. Wiesbaden: Springer VS.
- Süddeutsche (2023): Das Auschwitz-Pamphlet. In: sueddeutsche.de. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/aiwanger-auschwitz-freie-waehler-afd-soeder-wirtschaftsminister-mallersdorf-niederbayern-burkhart-gymnasium-kz-konzentrationslager-vernichtungslager-e074346/?reduced=true ; Zugriff: 19.02.2024.
- tagesschau.de (2023): Aiwanger entschuldigt sich – und spricht von politischer Kampagne. In: tagesschau.de. Online unter: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/aiwanger-kritik-102.html ; Zugriff: 22.01.2023.
- WELT (2023): FRIEDRICH MERZ: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen“ I WELT TALK. YouTube. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=oSAZrbEqEvU&t=3s ; Zugriff: 19.02.2024.
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1: Twitter/X (2022): Tweet von Merz zu „Sozialtourismus“. Online unter: https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1574673117594656768 ; Zugriff: 09.01.2024.
Zitiervorschlag
Gerner, Denis (2024): Nicht-Entschuldigen/Nonpology. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 18.11.2024. Online unter: https://diskursmonitor.de/glossar/nicht-entschuldigen-nonpology.
DiskursGlossar
Grundbegriffe
Kontextualisieren
Kontextualisieren wird im allgemeineren bildungssprachlichen Begriffsgebrauch verwendet, um das Einordnen von etwas oder jemandem in einen bestimmten Zusammenhang zu bezeichnen.
Narrativ
Mit der diskursanalytischen Kategorie des Narrativs werden Vorstellungen von komplexen Denk- und Handlungsstrukturen erfasst. Narrative in diesem Sinne gehören wie Schlagwörter, Metaphern und Topoi zu den Grundkategorien der Analyse von Diskursen.
Argumentation
Argumentation bezeichnet jene sprachliche Tätigkeit, in der man sich mithilfe von Gründen darum bemüht, die Richtigkeit einer Antwort auf eine bestimmte Frage zu erweisen. Das kann in ganz verschiedenen Situationen und Bereichen nötig sein, namentlich um eine poli-tische, wissenschaftliche, rechtliche, unternehmerische oder private Angelegenheit zu klären.
Hegemonie
Wie der britische Politikwissenschaftler Perry Anderson 2018 in einer umfassenden, historisch weit ausgreifenden Studie zum Gebrauch des Begriffs Hegemonie und seinen Konjunkturen beschreibt, liegen die historischen Wurzeln des Begriffs im Griechischen, als Bezeichnung für Führung (eines Staatswesens) mit Anteilen von Konsens.
Diskurskompetenz
Im engeren, linguistischen Sinn bezeichnet Diskurskompetenz die individuelle sprachlich-kommunikative Fähigkeit, längere zusammenhängende sprachliche Äußerungen wie Erzählungen, Erklärungen, Argumentationen zu formulieren und zu verstehen.
Agenda Setting
Rassistisch motivierte Gewalt, Zerstörung des Regenwaldes, Gender pay gap: Damit politische Institutionen solche Probleme bearbeiten, müssen sie erst als Probleme erkannt und auf die politische Tagesordnung (Agenda) gesetzt werden. Agenda Setting wird in Kommunikations- und Politikwissenschaft als eine Form strategischer Kommunikation beschrieben, mithilfe derer Themen öffentlich Gehör verschafft und politischer Druck erzeugt werden kann.
Medien
Die Begriffe Medien/Massenmedien bezeichnen diverse Mittel zur Verbreitung von Informationen und Unterhaltung sowie von Bildungsinhalten. Medien schaffen damit eine wesentliche Grundlage für Meinungsbildung und Meinungsaustausch.
Macht
Macht ist die Fähigkeit, Verhalten oder Denken von Personen zu beeinflussen. Sie ist Bestandteil sozialer Beziehungen, ist an Kommunikation gebunden und konkretisiert sich situationsabhängig. Alle expliziten und impliziten Regeln, Normen, Kräfteverhältnisse und Wissensformationen können aus diskursanalytischer Perspektive als Machtstrukturen verstanden werden, die Einfluss auf Wahrheitsansprüche und (Sprach)Handlungen in einer Gesellschaft oder Gruppe nehmen.
Metapher
In der politischen Berichterstattung ist oft davon die Rede, dass eine bestimmte Partei einen Gesetzesentwurf blockiert. Weil das Wort in diesem Zusammenhang so konventionell ist, kann man leicht übersehen, dass es sich dabei um eine Metapher handelt.
Normalismus
Normalismus ist der zentrale Fachbegriff für die Diskurstheorie des Literaturwissenschaftlers Jürgen Link. Die Normalismus-Theorie fragt danach, wie sich Vorstellungen von ‚Normalität‘ und ‚Anormalität‘ als Leit- und Ordnungskategorien moderner Gesellschaften herausgebildet haben.
Techniken
Parole
Die Parole ist ein kleines, potentes sprachliches Werkzeug, das in der politischen Kommunikation unerlässlich ist und zweckgebunden in politischen Mobilisierungen eingesetzt wird.
Komposita
. In der politischen Rhetorik tragen Komposita zur Prägnanz und Emotionalität von Botschaften bei, indem sie komplexe Sachverhalte und politische Themen in zentralen Begriffen bündeln, in griffige Schlagworte packen und diese für den gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellen (zum Beispiel Krisenmodus, Zeitenwende oder Rückführungspatenschaften).
Liken
Die eigentliche Funktion des Likens geht jedoch über das Signalisieren von Zustimmung hinaus und ist konstitutiv für das Funktionieren sozialer Medienplattformen und das Aushandeln von verschiedenen Formen der Sozialität auf diesen.
Hashtag
Mit dem Begriff Hashtag wird auf eine kommunikative Technik der spontanen Verschlagwortung und Inde-xierung von Postings in der Internetkommunikation verwiesen, bei der Sprache und Medientechnik sinnstif-tend zusammenwirken. Der Gebrauch von Hashtags hat eine diskursbündelnde Funktion: Er ermöglicht es, Inhalte zu kategorisieren (#Linguistik, #Bundestag), such- und auffindbar zu machen (#Bundestags-wahl2025), aber auch zu bewerten (#nicetohave) und zu kontextualisieren (#Niewiederistjetzt).
Diminutiv
Auch in Politik, Wirtschaft, Presse und Werbung werden Diminutiv-Formen zu rhetorischen Zwecken eingesetzt, um etwa emotionale Nähe zu konstruieren (unser Ländle), eine Person abzuwerten (die ist auch so ein Schätzchen), einen als ‚riskant‘ geltenden Sachverhalt zu ‚verharmlosen‘ (ein Bierchen) oder eine ‚Sachverhaltsbanalisierung‘ zurückzuweisen (Ihre ‚Demonstratiönchen‘).
Sündenbock
Der Sündenbock bezeichnet eine Person oder Gruppe, die stellvertretend für etwas beschuldigt wird. Hinter dieser Schuldzuweisung steckt ein kommunikativer Mechanismus des Gruppenzusammenhalts, der sich in verschiedenen kulturellen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten durch Rituale, Mythen, Erzählungen oder Verhalten manifestiert.
Redenschreiben
Wer Reden schreibt, bereitet die schriftliche Fassung von Reden vor, die bei besonderen Anlässen gehalten werden und bei denen es auf einen ausgearbeiteten Vortrag ankommt.
Offener Brief
Bei einem offenen Brief handelt es sich um eine strategische Praktik, die genutzt wird, um Anliegen einer Person oder Gruppe öffentlich sichtbar zu machen. Die Texte, die als offene Briefe bezeichnet werden, richten sich an eine Person oder Institution und werden über Medien veröffentlicht.
Kommunikationsverweigerung
Unter dem Begriff Kommunikationsverweigerung lässt sich ein Bündel von Praktiken und Strategien fassen, die den kommunikativen Austausch zu erschweren oder zu verhindern suchen.
Flugblatt
Unter Flugblättern versteht man einseitige Druckerzeugnisse, die ursprünglich meist illustriert waren. Eng verwandt sind die mehrseitigen Flugschriften. Während Flugschriften und Flugblätter heute kostenlos verteilt werden oder zur Mitnahme ausliegen, wurden sie in der Frühen Neuzeit zunächst als Handelswaren verkauft und gingen so als frühe Massenmedien den Zeitungen voraus.
Schlagwörter
Politisch korrekt / Politische Korrektheit
Der Ausdruck politisch korrekt / Politische Korrektheit und die amerikanischen Vorbilder politically correct /P.C. / Political Correctness (Gegenteile, etwa politisch unkorrekt etc., sind mitzudenken) repräsentieren ein seit den frühen Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts populäres Deutungsmuster, mit dem weltanschauliche, ästhetische und politische Konflikte berichtet/bewertet werden, meist zuungunsten der als politisch korrekt bezeichneten Positionen, denen man eine überzogene, sowohl lächerliche als auch gefährliche Moralisierung unterstellt.
Kipppunkt
Als öffentliches Schlagwort ist Kipppunkt Teil eines Argumentationsmusters: es behauptet ein ‚Herannahen und baldiges Überschreiten einer unumkehrbaren Sachverhaltsänderung, die fatale bzw. dystopische Folgeschäden auslöst, wenn nicht umgehend bestimmte Maßnahmen eingeleitet oder unterlassen werden.‘
Verfassung
Die Verfassung eines Landes (in Deutschland das Grundgesetz von 1949) steht für die höchste und letzte normative und Legitimität setzende Instanz einer staatlichen Rechtsordnung. In der offiziellen Version demokratischer Selbstbeschreibung ist es das Volk selbst, das sich in einem rituellen Gründungsakt eine Verfassung gibt.
Toxizität / das Toxische
Es ist nicht immer ganz eindeutig bestimmbar, was gemeint wird, wenn etwas als toxisch bezeichnet wird. Zeigen lässt sich zwar, dass sich die Bedeutung von ‚giftig‘ hin zu ‚schädlich‘ erweitert hat, doch die Umstände, unter denen etwas für jemanden toxisch, d. h. schädlich ist, müssen aus der diskursiven Situation heraus erschlossen werden.
Zivilgesellschaft
Im gegenwärtigen deutschen Sprachgebrauch werden so heterogene Organisationen, Bewegungen und Initiativen wie ADAC und Gewerkschaften, Trachtenvereine und Verbraucherschutzorganisationen, Umweltorganisationen und religiöse Gemeinschaften zur Zivilgesellschaft gezählt.
Demokratie
Der Ausdruck Demokratie dient häufig zur Bezeichnung einer (parlamentarischen) Staatsform und suggeriert die mögliche Beteiligung aller an den Öffentlichen Angelegenheiten. Dabei ist seine Bedeutung weniger eindeutig als es den Anschein hat.
Plagiat/Plagiarismus
Plagiarismus ist ein Begriff, der sich im öffentlichen Diskurs gegen Personen oder Produkte richten kann, um diese in zuweilen skandalisierender Absicht einer Praxis unerlaubter intermedialer Bezugnahme zu bezichtigen. Die Illegitimität dieser Praxis wird oft mit vermeintlichen moralischen Verfehlungen in Verbindung gebracht.
Fake News
Fake News wird als Schlagwort im Kampf um Macht und Deutungshoheit in politischen Auseinandersetzungen verwendet, in denen sich die jeweiligen politischen Gegenspieler und ihre Anhänger wechselseitig der Lüge und der Verbreitung von Falschnachrichten zum Zweck der Manipulation der öffentlichen Meinung und der Bevölkerung bezichtigen.
Lügenpresse
Der Ausdruck Lügenpresse ist ein politisch instrumentalisierter „Schlachtruf“ oder „Kampfbegriff“ gegen etablierte und traditionelle Medien. Dabei wird häufig nicht einzelnen Medien-Akteuren, sondern der gesamten Medienbranche vorgeworfen, gezielt die Unwahrheit zu publizieren.
Antisemitismus
Mit Antisemitismus werden gemeinhin alle jene Phänomene bezeichnet, die sich gegen das Judentum oder gegen Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden richten. Die entsprechenden Erscheinungen reichen von der bloßen Distanzierung und Behauptung jüdischer Andersartigkeit, über vollständig ausgearbeitete Weltbilder, die Jüdinnen*Juden für sämtliche Probleme verantwortlich machen, bis hin zu massiven Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Gewaltpraktiken.
Verschiebungen
Versicherheitlichung
In akademischen Kontexten wird Versicherheitlichung in Abgrenzung zu einem naiv-realistischen Sicherheitsverständnis verwendet. Dieses betrachtet Sicherheit als einen universell erstrebenswerten und objektiv feststellbaren Zustand, dessen Abwesenheit auf das Handeln von Akteuren zurückzuführen ist, die feindselig, kriminell, unverantwortlich oder zumindest fahrlässig agieren.
Ökonomisierung
Ökonomisierung wird in gegenwärtigen Diskursen in der Regel zur Bezeichnung von Prozessen verwendet, in denen die spezifisch wirtschaftlichen Funktions-Elemente wie Markt, Wettbewerb/Konkurrenz, Kosten-Nutzen-Kalküle, Effizienz, Gewinnorientierung in Bereiche übertragen werden, die zuvor teilweise oder ganz nach anderen Leitkriterien ausgerichtet waren
Moralisierung
Moralisierung verlagert Macht- und Interessenkonflikte in die Sphäre der Kommunikation von Achtung / Missachtung. Sie reduziert Ambivalenz zugunsten einer Polarisierung von gut und böse.
Konstellationen
Skandal
Die Diskurskonstellation des Skandals zeichnet sich durch eine in den Medien aufgegriffene (bzw. durch sie erst hervorgerufene) empörte Reaktion eines erheblichen Teils der Bevölkerung auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand aus. Die schuldhafte Verursachung dieses Missstandes wird dabei einem gesellschaftlichen Akteur zugeschrieben, dessen Handeln als ‚unmoralisch‘ gedeutet wird.
DiskursReview
Review-Artikel
Relativieren – kontextualisieren – differenzieren
Die drei Handlungsverben relativieren, kontextualisieren, differenzieren haben gemein, dass sie sowohl in Fachdiskursen als auch im mediopolitischen Interdiskurs gebraucht werden. In Fachdiskursen stehen sie unter anderem für Praktiken, die das Kerngeschäft wissenschaftlichen Arbeitens ausmachen: analytische Gegenstände miteinander in Beziehung zu setzen, einzuordnen, zu typisieren und zugleich Unterschiede zu erkennen und zu benennen.
Wehrhafte Demokratie: Vom Wirtschaftskrieg zur Kriegswirtschaft
Weitgehend ohne Öffentlichkeit und situiert in rechtlichen Grauzonen findet derzeit die Militarisierung der ursprünglich als „Friedensprojekt“ gedachten EU statt.
Tagung 2025: „Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung und Delegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen
„Das geht zu weit!“ Sprachlich-kommunikative Strategien der Legitimierung undDelegitimierung von Protest in öffentlichen, medialen und politischen Diskursen Tagung der Forschungsgruppe Diskursmonitor Tagung: 04. bis 5. Juni 2025 | Ort: Freie Universität...
„Remigration“ – Ein Riss im Schleier der Vagheit. Diskursive Strategien rund um das Remigrationskonzept und die Correctiv-Recherchen
Die am 10. Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über ein rechtes Vernetzungstreffen in Potsdam sorgte für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und die größten Demonstrationen gegen Rechtsaußen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Im Fokus der Kritik…
Neue Beiträge Zur Diskursforschung 2023
Mit Beginn des Wintersemesters laden die Forschungsgruppen CoSoDi und Diskursmonitor sowie die Akademie diskursiv ein zur Vortragsreihe Neue Beiträge Zur Diskursforschung. Als interdisziplinäres Forschungsfeld bietet die Diskursforschung eine Vielzahl an...
Tagung: Zur Politisierung des Alltags – Strategische Kommunikation in öffentlichen Diskursen (01.–03.02.2023)
Die (krisenbedingt verschärfte) Politisierung der Alltagsdiskurse stehen im Zentrum der hier geplanten Tagung. Antworten auf folgende Leitfragen sollen dabei diskutiert werden: Was sind die sozialen, medial-räumlichen und sprachlichen Konstitutionsbedingungen…
Tagung: Diskursintervention (31.01.2019–01.02.2019)
Welchen Beitrag kann (bzw. muss) die Diskursforschung zur Kultivierung öffentlicher Diskurse leisten? Was kann ein transparenter, normativer Maßstab zur Bewertung sozialer und gesellschaftlicher Diskursverhältnisse sein?
Was ist ein Volk?
Dass „Volk“ ein höchst schillernder und vielschichtiger politischer Leitbegriff der vergangenen Jahrhunderte gewesen ist (und nach wie vor ist), kann man schon daran erkennen, dass der Eintrag „Volk, Nation“ in Brunner, Conze & Kosellecks großem Nachschlagwerk zur politischen Begriffsgeschichte mehr als 300 Seiten umfasst.
Antitotalitär? Antiextremistisch? Wehrhaft!
Im Herbst 2022 veranstalteten die Sender des Deutschlandradios eine Kampagne mit Hörerbeteiligung zur Auswahl eines Themas, mit dem sich ihre sogenannte „Denkfabrik“ über das kommende Jahr intensiv beschäftigen solle. Fünf Themen standen zur Auswahl, „wehrhafte Demokratie“ wurde gewählt, wenig überraschend angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine…
Über einige Neuzugänge im (täglich wachsenden) Repertoire bellizistischer Kampf- und Kontaminationsbegriffe
[1] Was haben die Ausdrücke »Eskalationsphobie«, »Friedensmeute« und »Lumpenpazifismus« gemeinsam? Nun, zuerst einmal den Umstand, dass alle drei verdienstvolle Neuprägungen unserer medio-politischen Klasse sind…